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Archiv-Artikel

Algerien lässt bekannteste Islamisten frei

Die Gründer der verbotenen „Islamischen Heilsfront“ (FIS) dürfen nach Hause – allerdings ohne Bürgerrechte

MADRID taz ■ Die zwei höchsten Führer von Algeriens „Islamischer Heilsfront“ (FIS) wurden gestern nach 12 Jahren Haft auf freien Fuß gesetzt. Der Nummer eins der seit 1992 verbotenen islamistischen Partei, Abbassi Madani, wurde um 9 Uhr das Ende seines Hausarrests mitgeteilt. Ali Benhadj, zweitwichtigster FIS-Führer, verließ zur selben Zeit das Militärgefängnis in Blida.

Die beiden Gründer der FIS waren im Juni 1991 in der Folge eines unbefristeten Generalstreiks der Islamisten, der wochenlang die Hauptstadt Algier lahm legte, verhaftet worden. Ein Jahr später wurden sie wegen „Angriff auf die Sicherheit des Staates“ zu jeweils zwölf Jahren Haft verurteilt. Benhadj saß seine Strafe vollends ab: Er weigerte sich immer wieder, mit den Militärs zu verhandeln, die 1992 die ersten freien Wahlen Algeriens nach einem Sieg der FIS in der ersten Runde abbrachen, und rief stattdessen zum bewaffneten Kampf gegen „das ungläubige Regime“ auf – Beginn eines Bürgerkrieges, der 150.000 Tote gefordert hat. Madani hingegen wurde im Juli 1997 freigelassen. Wenige Monate später wurde er jedoch unter Hausarrest gestellt, nachdem er eine Dialoglösung im blutigen Konflikt zwischen bewaffneten Islamisten und Armee gefordert hatte.

Die Freilassungen lösten bei den Vereinigungen der Opfer des islamistischen Terrors Protest aus. „Diese dunklen Individuen werden nie ihre Schuld bezahlen, die sie gegenüber der algerischen Gesellschaft haben“, heißt es in einem Kommuniqué. Die staatliche Presseagentur APS erinnerte daran, dass Madani und Benhadj auch nach ihrer Freilassung keine Bürgerrechte genießen. So ist ihnen jede politische Aktivität verboten. Madani hatte bereits vor Tagen seine Anhänger bei etwaigen Freudenfeiern angesichts seiner Freilassung zur „Disziplin“ aufgerufen, „damit die Dinge nicht außer Kontrolle geraten“.

Viele Algerier warten jetzt gespannt auf das morgige Freitagsgebet. Die beiden Scheichs werden sicherlich einer der Moscheen besuchen, in denen sie einst predigten. Das Interesse richtet sich vor allem auf Benhadj. Wird er einmal mehr zum Kampf rufen – oder wird er die Aussöhnungspolitik von Präsident Abdelasis Bouteflika unterstützen und die noch übrigen bewaffneten Islamisten, bei denen er nach wie vor Einfluss hat, zur Waffenruhe auffordern?

REINER WANDLER