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Archiv-Artikel

berliner szenen Vorbildlich sonnen

Serotoninproduktion

Kreuzberger brauchen Licht und Sonne. Den ganzen Winter saßen sie kettenrauchend in ihren Ofenwohnungen – so die Generalthese – und wurden immer bleicher und mutloser. Nun sitzen sie draußen und blinzeln ein bisschen. „Du, ich bin drei Tage nicht aus meiner Wohnung rausgegangen“, sagte B. in der Ankerklause – „Hast die ganze Zeit gekifft und auf die Erleuchtung gewartet?“ – „Die Erleuchtung kam schon, aber dann hab ich’s wieder vergessen.“

Immer wieder ist die Heiterkeit erstaunlich, mit der einem Bekannte erzählen, wie deprimiert sie doch eigentlich sind oder grad waren. Aber eigentlich ist das völlig normal und der Frühling ist auch nur so eine Wiederkehr des Immergleichen – eine Weile hält man möglichst viele Teile seines Körpers in die Sonne, um die Serotoninproduktion anzuregen, dann ist es zu heiß und dann wieder Winter.

Hastig geht die Zeit vorbei und es ist interessant, wie viele Jahre es dauert, bis man verstanden hat, dass man am Ufer des Landwehrkanals, auf der Seite des Urbankrankenhauses, zwar angenehmer sitzen bzw. liegen, lesen und rauchen kann, dass es aber auf der anderen Seite, wo man eigentlich schlechter sitzt, auf der Mauer am Ufer, die immer dreckig ist, eigentlich besser ist, weil die Sonne dort eher von vorne kommt und durch die Augen direkt in den Kopf scheinen kann. Manche sitzen mit anderen auf Decken, manche sitzen allein. Ein Emigrantenjugendlicher hatte eine bunte Rastafarimütze auf und einen sehr elegant schlank gedrehten Joint hinter seinem Ohr eingeklemmt, als er mir Feuer gab. Er sagte dann „bitte schön“. Viele Altkiffer dagegen verhalten sich nicht vorbildlich, drehen lustlos und unachtsam ihre Joints und trinken literweise Bier dazu. DETLEF KUHLBRODT