village voice : In der Streuung liegt die Würze: Jazzanova und Umod
Dass man über Geschmack wieder streiten soll, ist ein hübscher Nebeneffekt der neu angeheizten Debatte über Pop. Doch der Generalverdacht gegen Techno und die Folgen wirkt dabei eher befremdlich. Schließlich hat gerade die DJ-Culture feinere Unterschiede gefördert als sämtliche 80er-Jahre-Bands, auf die sich derzeit alle gerne einigen würden. New Wave war eine offene Schublade, in die vom expressiven Probenraumgenäsel bis zu Scritti Polittis gefeilten Linguismen so ziemlich jeder Wille zur Differenz passte. Diese Großzügigkeit existiert in Sachen Dancefloor nicht: Wer Funkstörung mag, wird kaum zum Fetenrock von Westbam tanzen; wer auf bollernden Sägezahn-Techno steht, geht bei Asian-Groove ganz schnell nach Hause.
Offenbar ist dieses Zuviel an individuellen Nischen ein Problem, mit dem Clubmusik gegenwärtig schwer zu kämpfen hat. Das Ende der Love Parade ist ein Beispiel für die Zerfransung: Wer kennt schon die Wünsche der Konsumenten? Umgekehrt haben konsensfähige Modelle wie Jazzanova mit ihrer Etablierung einiges an Hipness eingebüßt. Wenn sie im WMF auflegen, freut sich mittlerweile nicht mehr die Creme von Mitte, sondern das Fußvolk aus Finsterwalde. Auch in Hamburg hat man sich daran gewöhnt, dass der Patchwork in Party-Mainstream umschlägt. Dort spricht man vom Pinneberg-Effekt, wenn an den Wochenenden die BMW-Jugend aus dem Umland nicht nur über Bums-Diskos entlang der Reeperbahn herfällt, sondern selbst Locations wie etwa das Soul Kitchen für sich in Beschlag nimmt.
Noch ist auch bei Jazzanova kein Konzept in Sicht, ob und vor allem wie man den Zuspruch der Massen bewältigen soll. Es gibt Plattenläden, in denen die Produktpalette des Mitte der Neunzigerjahre gegründeten Zusammenschlusses aus DJs, Saba-Jazz-Connaisseuren und Moog-Fetischisten eine größere Regalfläche füllt als Stones, Beatles und Franz Ferdinand gemeinsam. Trotzdem ist außer ein paar Addicts aus dem Nachtleben bei Jazzanova niemand auf der Höhe der aktuellen Veröffentlichungen, weil ständig neue Remixe nachgereicht werden. Denn zu einer zeitgemäßen Style-Signatur gehört die Streuung: Die einen nennen es begeistert Clubmusik für die Multitude, die anderen verächtlich Dancefloor-Imperium.
Da macht auch „ … Mixing“ keinen Unterschied. Man kennt die Namen, freut sich über den mäkelnden Rap von Bahmadia, hat bei Carol Williams nostalgische Funkgefühle und staunt ansonsten über die irrwitzige Vernetzung, die bei Jazzanova inzwischen von der US-Westküste bis zu rarem polnischem Retro-Scheiß reicht. Aber richtig hängen bleibt nicht sonderlich viel: Einzelne Spuren hat man in ähnlicher Form auf diversen anderen Kompilationen gehört, lediglich der Rhythmus ist noch ein paar Bossa eingängiger geworden. Tatsächlich liegt in dieser perfekt justierten Balance aus Soul, Soundtrack, Uptempo-Boogie und Downbeat-Syndrom bloß ein Risiko: Irgendwann wird der letzte Caipirinha getrunken sein – was machen wir dann?
Diese Frage hat sich zumindest Umod aka Domu gestellt. Der britische DJ ist aus der alten HipHop-Schule, bietet auf seiner Homepage Mix-Tapes an und steht weiterhin mit einem Bein halb im Underground. Entsprechend kracht es auf seiner CD: „Enter the Umod“ versucht dort zu rocken, wo Jazzanova den Abend sanft ausklingen lassen. Hörspielpassagen werden mit übelst schlabbernden Snare-Drums kombiniert, aus der Echokammer fiepen krumme Keyboard-Akkorde von fernher. Die krautigen Beats sind dabei ständig auf der Suche nach dem true spirit von Clubland, schließlich gilt auch 2004: Die Wege zum Ruhm sind steinig – ja, stoned is the way we walk. HARALD FRICKE
Jazzanova: „ … Mixing“; Umod: „Enter the Umod“ (beide Sonarkollektiv)