: „Ich bin voller Optimismus“
Ein Gespräch mit dem provisorischen irakischen Kulturminister Mufid al-Jazairi über die Organisation eines Neubeginns im Irak, die Altlasten der Diktatur, die Möglichkeiten des Tourismus und das Wegsehen des Westens, als unter Saddam Hussein fast täglich gefoltert und gemordet wurde
VON EDITH KRESTA
taz: Herr al-Jazairi, Sie haben als Mitglied der Kommunistischen Partei jahrzehntelang in der Tschechoslowakei im Exil gelebt. Wie ist es für Sie, zurückzukommen?
Mufid al-Jazairi: Ich bin voller Optimismus. Auch wenn das kulturelle Leben im Irak völlig daniederliegt und es eines kulturellen Wiederaufbaus bedarf. Ich und viele andere Intellektuelle haben das Gefühl, dass wir nun unsere Pläne verwirklichen können, um einen demokratischen Irak und eine entwickelte Kultur aufzubauen. Viele dachten, Saddam Hussein sei es gänzlich gelungen, die Menschen zu unterdrücken. Sie glauben, die Leute hätten vergessen, wie man kulturelles Leben gestaltet oder wie man frei diskutiert. Das stimmt nicht: Theater werden neu inszeniert. Andere suchen Verleger für ihre Bücher. Das kulturelle Leben beginnt neu, voller Energie, voller Elan und Kreativität. Wir haben nicht die besten Konditionen, aber es gibt einen Weg.
Mit oder ohne Amerikaner?
Sie werden ihr Bestes tun, um nicht zu gehen. Und die selbst ernannten Widerständler und Aufrührer im Land liefern ihnen immer wieder neue Vorwände zu bleiben. Aber ich und viele andere wollen einen unabhängigen Irak mit voller Souveränität, ohne Besatzung. Ein Land mit einem demokratischen System. Wir werden unser Bestes geben, um diese Ziele zu erreichen.
Was planen Sie konkret?
Wir haben viele zerstörte Theater, wir müssen die Orte der Kultur wieder aufbauen, ob Theater, Museen oder Ausstellungsorte. Wir müssen alles dafür tun, die tausende von gestohlenen Kulturgütern aus dem Nationalmuseum und der Nationalgalerie zurückzubekommen. Auch in der Nationalbibliothek haben wir sehr viele wichtige und wertvolle Bücher verloren.
Wie viel haben Sie verloren?
Wir haben schätzungsweise über 15.000 Objekte aus dem Nationalmuseum verloren, und wir haben jetzt ungefähr 5.000 wiedergefunden: zum Beispiel in Frankreich 500 Stück, in der Schweiz 200, in den Vereinigten Staaten 1.000, in Jordanien 700 etc. Viele Länder helfen uns bei der Suche. Und all diese Länder haben versprochen, die Stücke dann zurückzugeben, wenn das Museum wieder so weit ist. Wir hoffen, das alle Länder uns weiter helfen, die Banden, die die Stücke auf den Markt verscherbeln, zu bekämpfen.
Gibt es Intellektuelle und Künstler aus der Zeit des Diktators, mit denen Sie zusammenarbeiten wollen?
Natürlich. Es gibt Künstler, Schriftsteller und Intellektuelle. Solche, die schrieben, aber ihr Geschriebenes versteckt haben. Und es gab gute Theaterstücke, wenn es auch nur einmal in zwei Jahren passierte, dass man ein gutes Stück fand. Das Regime konnte nicht alles aufhalten. Auch unter Malern finden sie gute Künstler.
Sind nicht die meisten irgendwo im Exil?
Die absolute Mehrheit der Künstler hat das Land verlassen. Die anderen waren gezwungen, im Untergrund zu arbeiten. Die, die eine gewisse Normalität aufrechterhalten wollten, waren gezwungen, mit dem Regime und dem Diktator zu arbeiten. Sie versuchten teilweise ihr Bestes, manchmal mit Erfolg, manchmal ohne. Es war ein harter Kampf.
Welche Schritte haben Sie bereits konkret unternommen?
Wir haben beispielsweise irakische Intellektuelle im In- und Ausland aufgefordert, uns ihre Vorstellungen mitzuteilen. Wie geht man mit den Altlasten der Diktatur um? Wie soll der Neubeginn organisiert werden? Wir wollen mit breiter Beteiligung der Künstler und Intellektuellen ein neues Konzept für die Kulturpolitik entwickeln. Wir haben beispielsweise ein Treffen zwischen Verlegern, Schriftstellern und Druckereien veranstaltet. Das wird auch im Bereich der Filmschaffenden fortgesetzt.
Wie sieht Ihr Budget aus?
Das ist mager. Es gibt natürlich andere Prioritäten wie innere Sicherheit, Gesundheitsversorgung, Strom. Es gibt zwei bis drei Millionen Vollwaisen. Da steht unser Ministerium hintenan. Wir hoffen auf die Unterstützung von Geberländern.
Haben sich schon neue Foren und Medien entwickelt, die den demokratischen Prozess unterstützen?
Wir haben eine freie Presse. Aber es ist notwendig, eine rechtliche Grundlage für die Medien zu schaffen. Das alte Gesetz ist außer Kraft. Wir hoffen, wenn ein Parlament bis Ende des Jahres oder bis Januar gewählt ist, dass dieses Parlament neue Gesetze erlässt. Im Moment kann man alles publizieren, was man möchte. Das ist manchmal auch problematisch, weil es keine Bremsen gibt. Heute gibt es hunderte von Publikationen, die genauso schnell auf dem Markt sind, wie sie wieder verschwinden. Die Zeitungen des alten Regimes sind zwar verschwunden, aber viele Journalisten, die für das alte Regime gearbeitet haben, versuchen ihre Zeitungen herauszubringen. Sie sagen nicht, dass sie von der Baath-Partei sind, aber wenn man sie liest, weiß man, was los ist.
Wie soll die Beziehung zwischen den ethnischen Gruppen, aber auch den Religionen gestaltet werden?
Das ist noch nicht entschieden. Die religiösen Gruppen versuchen natürlich ihre eigene Kultur auszudrücken. Wir wollen kulturelle und ethnische Pluralität: kurdische, arabische, islamische, christliche. Unser Ministerium will all diese Gruppen unterstützen und fördern, das ist sehr wichtig für uns. Es gab nie ethnischen Fanatismus in unserer Gesellschaft. Es gelang weder Saddam Hussein noch anderen, einen Konflikt zwischen den ethnischen Gruppen aufzubauen, trotz vieler Versuche.
Gibt es einen Kampf zwischen religiösen und säkularen Kräften?
Mit der gegenwärtigen Verfassung steht, was breite Zustimmung hat: Religion hat keine Hegemonie über den Staat, aber der Islam wird respektiert, auch als Quelle für die Rechtsprechung. Die Mehrheit der islamischen Parteien ist gemäßigt. Sie ist gegen Extremismus und Gewalt.
In Ihr Ressort fällt auch der Tourismus. Was erwartet man davon?
Ich glaube, der Tourismus wird sich in den nächsten Jahren sehr schnell entwickeln.
Welcher Tourismus? Kriegstourismus?
Archäologischer und religiöser Tourismus. Reisen in den Norden nach Kurdistan und in die Sümpfe im Süden. Ich denke, dass der Tourismus die zweitgrößte Industrie nach dem Öl werden könnte. Und es könnte der zweitgrößte Devisenbringer werden. Die Perspektive ist gut.
Aber es ist doch sehr viel an Kulturgütern zerstört worden?
Ja, aber wir werden es nicht für immer so liegen lassen.
Wie haben sich die Folterbilder aus Abu Ghraib auf die Stimmung im Irak ausgewirkt?
Die Leute sind sehr enttäuscht und verärgert, weil sie dachten, mit dem Ende der Diktatur würden auch diese Geschichten ein Ende haben. Sie sind beruhigt, dass es gleich zu dem Prozess gegen einen Folterer kam. So etwas geschah nie zu Zeiten von Saddam Hussein. Aber das reicht nicht. Alle Verantwortlichen für die Folter müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Allerdings muss ich ganz offen sagen, dass die Menschen im Irak auch darüber enttäuscht sind, dass viele, die heute gegen die Folter der Amerikaner protestieren, still blieben, als viel schlimmer durch Saddam Husseins Schergen gefoltert wurde.
Wenn meine Partei Listen der Gefolterten und Gehängten herausgab mit den Namen der Getöteten, wurde praktisch keine Notiz davon genommen. Zwischen den Jahren 1998 und 2001 wurden in Abu Ghraib immer mittwochs mehr als 2.000 Menschen gehängt.
Wen klagen Sie an?
Die Europäer und die Araber. Beide. Sie waren still. Die Kooperation mit Saddam Hussein für Öl war wichtiger als das Leben unserer Leute. Viele von denen, die still waren und alles wussten, schreien nun für die Menschenrechte der Iraker. Das ist komisch. Heuchlerisch.