: „Chaos, Unsicherheit und Wut“
Ostfriesland: Das Personal zweier ostfriesischer Zeitungen wird auf die Straße gesetzt. Geschäftsführer sollen Kündigungsliste dubioser Herkunft abnicken. Ehemals eigenständige Zeitungen sind fest im Griff der Nordwest-Zeitung
von THOMAS SCHUMACHER
Die auflagenstärkste Zeitung Ostfrieslands, die Ostfriesen-Zeitung (OZ) wird in der nächsten Zeit mehr als ein Drittel ihrer 300-köpfigen Belegschaft entlassen. Im Zusammenhang der Fusion der OZ mit der zweiten Zeitung im Landkreis Leer, dem Generalanzeiger (GA) zur Ostfriesischen Zeitungsgruppe (ZGO), wurde bereits eine verlagseigene Druckerei in Leer geschlossen. Das kostete 25 Angestellte die Arbeit. Letztes Wochenende bekamen 52 Bedienstete aus Verwaltung, Technik und Anzeigenabteilung der OZ ihre Kündigung auf den Tisch. Pläne, die Redaktion von 56 RedakteurInnen mindestens auf 40 Mitglieder zusammen zu streichen, liegen vor.
„Die Redaktion hat keine Kündigungen zu befürchten“, versucht der Geschäftsführer der OZ, Heinrich Hoppmann, zu beschwichtigen. Dagegen empfiehlt ein Konzept der Unternehmensberatung Sipa aus Saarbrücken, mindestens 16 RedakteurInnen zu entlassen. Die vorgeschlagenen Kündigungen entsprechen in etwa der Zahl der Mitarbeiter, die bislang in den Außenredaktionen der OZ in Aurich, Emden und Wittmund arbeiten. Die Leeraner Geschäftsstelle soll bereits die Mietverträge einiger Kundenservicestellen außerhalb von Leer gekündigt haben.
Darüber hinaus hat die ZGO überraschend einen neuen Chefredakteur eingesetzt. Uwe Heitmann von den Harburger Anzeiger und Nachrichten wird ab dem 1.Oktober sowohl Chef der OZ als auch des GA sein. „Einen Auftrag, die Redaktionen zusammenzulegen oder zu verkleinern habe ich nicht“, sagt der 43-Jährige.
Zumindest ein Abschusskandidat steht aber schon fest. Die OZ hat nämlich einen Chefredakteur, Bernhard Fokken. Der hat erst vor einem Jahr seinen Vertrag bis 2006 verlängert. „Ich weiß nicht, was aus ihm wird“, erklärt der neue Chef Heitmann. Der Chef des GA hat bereits das Handtuch geworfen und geht in den Schuldienst.
„Die Kündigungen werden zur Zeit willkürlich und ohne Rücksicht auf soziale Härten ausgesprochen“, erregt sich OZ-Betriebsrätin Manuela Freuck. Offensichtlich war der Geschäftsleitung die Kündigungsliste selbst nicht bekannt. Denn mit Verwunderung musste Geschäftsführer Hoppmann feststellen, dass er seine Sekretärin entlassen sollte. Die zweite Geschäftsführerin, Ute de Buhr, wollte zwei ihr genehme Auszubildende übernehmen, aber gleichzeitig zwei älteren Kollegen kündigen – „mangels Arbeit“. Der dritte Geschäftsführer, Helmut Schreiber, unterschrieb die Kündigungsliste erst gar nicht.
„Im Betrieb herrscht Chaos, Unsicherheit und Wut“, erzählt ein Angestellter. Der Betriebsrat hat Widerspruch gegen die Kündigungen eingelegt und weigert sich, sofort einen Sozialplan aufzustellen. Betriebsrat und Geschäftsführung streiten sich zur Zeit vor dem Emder Arbeitsgericht. „Wir können in den vorgegebenen Fristen keinen Sozialplan erarbeiten. Wir brauchen erstmal genaue Informationen darüber, wie es bei uns weitergehen soll“, so Freuck.
Die gibt es nicht, die ZGO hält sich bedeckt. Eine bezahlte Anzeige der Grünen, die Aufklärung forderte, lehnte Geschäftsführer Hoppmann persönlich ab. Seine Begründung: Mit der Anzeige würden Rechte Dritter berührt. „Eine Frechheit“, schimpft Kreisgrünenvorsitzende Mechthild Tammena, „Anzeigen, in denen eine rechte Leeraner Partei Juden, Sinti, Arbeitslose und Obdachlose diffamierte, hat die Ostfriesen-Zeitung immer ohne Bedenken abgedruckt.“
Ins Zentrum der ostfriesischen Zeitungslandschaft bewegt sich immer mehr ein Unternehmen: Die Oldenburger Nordwest-Zeitung (NWZ) hat sich in den letzten Jahren massiv in den regionalen Zeitungsmarkt eingekauft. Gab es bis vor zwei Jahren in jeder ostfriesischen Stadt mindestens eine eigenständige Zeitung, so sind die Oldenburger jetzt in allen Zeitungen vertreten, auch in GA und OZ. Alle Zeitungen Ostfrieslands, bis auf eine, erscheinen unter dem Mantel der Nordwest-Zeitung und halten sich nur eigene Lokalteile. An fast allen Zeitungen, auch Anzeigenblättern, hat die NWZ Gesellschafteranteile. Medienkenner meinen, alles deute darauf hin, dass sich die ostfriesischen Verleger absprechen, wie sie den lokalen Anzeigenmarkt ohne Konkurrenz aufteilen können. Der NWZ fiele dann die Aufgabe zu, alle Zeitungen zentral aus einem Redaktionspool heraus zu steuern.