Das Szenekaufhaus am Kotti bleibt draußen

Noch immer obdachlos: Heute eröffnet das alternative Kaufhaus erst mal mit einem Basar unter freiem Himmel in der Dresdener Straße. Drei Politiker fordern den Eigentümer zu Verhandlungen und einem Vertragsabschluss auf

„Den Biergarten eines Großgastronomen finanziere ich nicht aus öffentlichen Mitteln“

Gefeiert wird, aber nicht am geplanten Ort. Heute eröffnet das etwas andere Kaufhaus Kreuzberg (die taz berichtete). Luftballons und Sektkorken knallen allerdings nicht, wie geplant, im ersten Stock des früher „Neues Kreuzberger Zentrum“ (NKZ) genannten Betonkomplexes am Kottbusser Tor, sondern bei einem Straßenfest in der „nur einen Steinwurf entfernten“ Dresdener Straße. Ab 13 Uhr will das Kaufhaus Kreuzberg die Straße in einen lebhaften Basar verwandeln. Denn noch stehen die Betreiber buchstäblich auf der Straße, einen unterschriftsreifen Vertrag gibt es zumindest noch nicht. Vielmehr stehen die Verhandlungen mit dem Vermieter, der Zentrum Kreuzberg GmbH (ZK GmbH), still.

An Begeisterung mangelt es nicht. Auch Peter Ackermann, bis vor kurzem Geschäftsführer der ZK und seither die graue Eminenz, findet das Szene-Kaufhaus „eine erstklassige Idee“. Mit den geplanten etwa 60 Ständen und dem Kneipenbetrieb könnten dort bis zu 100 neue Arbeitsplätze entstehen. Knackpunkte sind die Details. Der Streit bei den Vertragsverhandlungen dreht sich um die Frage, ob für die 500 Quadratmeter große Terrasse des Biergartens ebenfalls Miete zu zahlen ist. Oder ob sie, wie seit 20 Jahren den Vormietern OBI und Möbel-Oase, kostenlos überlassen wird. Damit könnte das Kaufhaus quersubventioniert werden. Daniel Kexel, neuer Geschäftsführer der ZK, hatte den Kaufhausbetreibern dies in einer Absichtserklärung jedenfalls zugesichert.

Richard Stein, einer der Macher, hält dies für einen vorgeschobenen Grund. „Eigentlich wollen sie nicht unterschreiben. Termine platzen, auf einmal tauchen im Entwurf des Mietvertrags unannehmbare Konditionen wie zum Beispiel eine notarielle Unterwerfungsklausel auf, und nie ist klar, wer eigentlich der Entscheider ist“, klagt Stein.

Zeitgleich eskalieren im Komplex die Konflikte zwischen den Mietern und der ZK GmbH um die Betriebskostenabrechnung. Viele der Gewerbetreibenden beklagen, dass Läden trotz Leerstand nicht vermietet werden. Inzwischen hat sich auch die Politik eingeschaltet. In einem offenen Brief fordern die drei Mitglieder des Abgeordnetenhauses, Barbara Oesterheld (Grüne), Vera Vordenbäumen (PDS) und Stefan Zackenfels (SPD), den Wirtschaftsanwalt Ackermann auf, durch einen mit Vollmachten ausgestatteten Vertreter an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Doch Ackermann bestreitet, überhaupt die Verhandlungen abgebrochen zu haben. Aber „den riesigen Biergarten eines Großgastronomen“ will er nicht mit öffentlichen Mitteln finanzieren.

Dabei sind es gerade öffentliche Mittel, der auch das Zentrum Kreuzberg sein wirtschaftliches Überleben verdankt. Anfang der 70er-Jahre errichtete eine GmbH & Co KG den Gebäudekomplex mit seinen 300 Wohnungen im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus. „Dank einer Steuerabschreibungsquote von etwa 210 Prozent schenkte das Finanzamt den rund 550 Kommanditisten im wirtschaftlichen Ergebnis praktisch vollständig ihren Anteil am Gebäude“, bestätigt auch Ackermann. Zudem gleicht seit fast 30 Jahren das Land Berlin die Differenz zwischen den Kostenmieten in Höhe von etwa 14 Euro pro Quadratmetern und der real erzielbaren Miete in Höhe von knapp 8 Euro mit Aufwendungshilfen im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus zwischen 1,1 und 2,5 Millionen Euro jährlich aus.

Doch diese Förderung läuft im November 2004 endgültig aus. Deshalb weist selbst die ZK GmbH in ihren Mietverträgen auf eine mögliche Zwangsversteigerung zu diesem Zeitpunkt hin. Faktisch ist der Betonkomplex dreifach überschuldet. Etwa 45 Millionen Euro Schulden bei der Investitionsbank Berlin (IBB) steht ein geschätzter Verkehrswert von etwa 13 Millionen Euro gegenüber. Doch Ackermann gibt sich sicher, dass „bis zum Jahr 2023 kein Insolvenzrisiko besteht“. Denn die IBB senkte den Zinssatz für einen Teil der Schulden, ein „anderer Teil in Höhe von 25 Millionen Euro wurde bis zum Jahr 2023 zinsfrei gestellt“. Damit subventioniert die IBB beziehungsweise das Land Berlin die Betreiber weiterhin mit etwa einer Million Euro jährlich.

Deshalb fragt der SPD-Abgeordnete Zackenfels skeptisch, ob das Ackermann’sche „Konsolidierungskonzept genügend abgeklopft ist“. Etwa 23 Prozent der Gewerbeeinheiten am Kotti stehen leer. „Weil wir Preisvorstellungen haben, die der Markt nicht hergibt“, gibt auch Ackermann zu. So fordert Zackenfels die IBB auf, „zu prüfen, inwieweit eine sofortige Insolvenz für das Land Berlin nicht billiger wäre“. Allerdings gibt es für den Fall einer Zwangsversteigerung noch keinerlei Konzepte, wer dann den Komplex wie weiterführen könnte.

Die Betreiber des Kaufhaus Kreuzberg haben sich nun eine „deadline“ bis zum 1. August gesetzt. „Falls es bis dahin nicht zu einem klaren Signal für konstruktive Lösungen kommt“, so Richard Stein, „geht die Standortsuche des Kaufhaus Kreuzberg weiter“. Und der Leerstand am Kottbusser Tor ebenfalls.

CHRISTOPH VILLINGER