: Ehe im Leerlauf
Einmal mehr kooperiert die Oldenburger Kulturetage mit dem Regisseur Carlos Trafic an ungewohnten Orten. Im Möbelkaufhaus geht es unter anderem um Sex
Zwei, die es geschafft haben. Sarah und Richard, seit zehn Jahren verheiratet, Designermöbel. Sie bringt den Wagen in die Werkstatt. Und während er im Büro schwitzt, kocht sie ein edles Boef Bourgignon.
Und vergnügt sich. Denn nachmittags um drei kommt „Der Liebhaber“. Der argentinische Regiesseur Carlos Trafic hat das Stück von Harald Pinter aus den sechziger Jahren im arrivierten Oldenburger Einrichtungshaus Ullmann inszeniert. Die obere Etage wurde eigens für die Produktion der Kulturetage gestrichen und mit edelsten Möbeln bestückt: ein Wohnzimmertraum im 2000er Loft-Stil. Und das Publikum als Voyeur mittenmang, wenn Richard (Uwe Bergeest) sich am Morgen verabschiedet und seiner Gattin noch „einen schönen Nachmittag“ wünscht, ganz aufgeklärt und tolerant. Doch zunehmend wird das Eheleben zum Katz- und Mausspiel in dieser verordneten Freiheit und Offenheit. Richard wird zum egozentrischen Inquisitor.
Denn, während die Hure, die er manchmal besucht, nicht mehr für ihn ist als ein Stück Fleisch, ein Stück Lust, scheint der Liebhaber die kultivierten, sinnlichen Seiten seiner Frau anzusprechen. Für Richard unbegreiflich.
Rollenwechsel: Uwe Bergeest jetzt als ghettoblustertragender Lederjackentyp, rempelt Aza Thelandersson an. Sie, im roten Kleid, als Verführerin jetzt, er, als ihr Retter, ihr Opfer. Wechselspiel: Halbnackt auf dem Fensterbrett, in die Vorhänge drapiert, deklamieren die Eheleute eine Englischlektion. Oder ist es gar nicht ihr Ehemann, sondern doch der Liebhaber, mit dem sie hier saukomische Spielchen treibt?
Das Stück im Stück wechselt die Perspektiven, nimmt Platz in den Köpfen, den Phantasien der Eheleute, ihren Projektionen. Es fragt nach den Verletzungen in dieser so aufgeklärt abgefackelten Ehe, aber auch nach den Sehnsüchten, die darin schlummern und deren Spielmöglichkeiten. Am Ende kommt der Milchmann und verschwindet mit Anna, um bezahlt zu werden. Und ein ratloser Richard muss sich fragen: Ist er der Liebhaber, oder sind alle Liebhaber nur Milchmänner, Postboten, Freunde, ganz normale Alltagsbegegnungen ... und der Rest ist: Phantasie?
„Der Liebhaber“ ist – nach „Novecento“ im Hallenbad – eine neue Kooperation der Kulturetage mit dem argentinischen Regisseur Carlos Trafic.
Marijke Gerwin
Der Liebhaber/The Lover ist bis Samstag, den 26. Juli, täglich außer sonntags und montags um 19.30 Uhr im Ullmann Einrichtungshaus in Oldenburg, Lange Straße 91, zu sehen.