: Jenseits von Hollywood
Serena Williams gewinnt das Finale von Wimbledon mit 4:6, 6:4 und 6:2. So richtig freuen kann sie sich darüber aber nicht. Lieber lobt sie ihre verletzte Schwester Venus
WIMBLEDON taz ■ Tennisspiele mit Serena Williams sind laute, bunte Spektakel, randvoll mit action und Emotionen. Hollywood eben, tragende Handlung im Breitwandformat. Doch keine Spur davon am Samstagnachmittag auf Wimbledons Centre Court. Was es da zu sehen gab, ähnelte eher dem Kammerspiel mit einem schwierigen Stück über Last und Zwang. Psychologie in Punkte verpackt, Handlungsstränge untrennbar verwoben zwischen einer siegenden Verliererin und einer Siegerin, die sich verloren fühlt. Klingt kompliziert? Ist es auch, denn nicht Serena Williams, die den Titel des Jahres 2003 in diesem Stück gewann, war die Hauptdarstellerin, und um Tennis ging es auch nur am Rande.
Als das Finale begann, ging es um die Frage, ob Venus, die ältere der Schwestern, überhaupt erscheinen würde und falls ja, ob das Spiel länger als nur ein paar Minuten dauern würde. Sichtlich behindert von der alten Bauchmuskelzerrung, die im Halbfinale beim Sieg gegen Kim Clijsters wieder aufgebrochen war, und dazu von einer Leistenzerrung, hatte Venus mittags vor dem Final nur ein schwaches Viertelstündchen trainiert. Leicht hinkend, mit sichtlich eingeschränktem Radius und mit zusammengebissenen Zähnen. Genauso erschien sie pünktlich um 14 Uhr Ortszeit auf dem Centre Court, und jeder der 13.800 Zuschauer konnte das sehen.
Obwohl Serena später behauptete, die Schwester habe kein Wort darüber verloren, wusste sie doch alles, und das allein wäre kompliziert genug gewesen; es gibt kaum Spieler, die nicht Probleme mit angeschlagenen Gegnern haben. Aber um wie viel schwerer muss es sein, wenn man weiß, dass man für den Preis, selbst erfolgreich zu sein, den Schmerz der Schwester vergrößern muss?
Vielleicht war das der Grund, warum Serena den ersten Satz nervös verlor, aber sicher war sie auch überrascht, dass Venus trotz der Verletzung eine halbe Stunde lang die besseren Bälle drosch. Und dass es im Publikum erstmals seit das Stück Williams gegen Williams auf dem Spielplan steht, eindeutige Präferenzen für eine der beiden gab – für Venus. Bisher hatte es immer so ausgesehen, als sei es den Leuten egal, welche Schwester letztlich gewinne. Diesmal fiel ihnen die Entscheidung leicht – zugunsten der angeschlagenen.
Venus Schmerzen nahmen zu, Serena gewann Satz Nummer zwei, die Schwester verschwand in der Kabine, um den Tape-Verband in der Taille straffen zu lassen; und spätestens in diesem Moment war klar, wie das Spiel enden würde: mit Serenas Sieg, dem sechsten in Folge. Venus letzter stammt aus dem Finale der US Open 2001, aber die kleine Schwester versichert, das habe nichts zu bedeuten: „Venus ist auf einer Mission: Sie will die Beste sein. Sie ist noch jung, und sie kann noch eine Menge erreichen.“
Als sie sich nach dem Matchball umarmten am Netz, da sah Serena aus wie eine traurige Verliererin, und Venus schenkte ihr dafür ein aufmunterndes Lächeln. Aber das war nicht alles. Als es später darum ging, warum sie denn angesichts der Verletzungen und der Schmerzen nicht auf dieses Finale verzichtet habe, sagte sie: „Erstens denkt man immer, vielleicht geht’s ja doch, und zweitens haben Serena und ich schon genug einstecken müssen. Ich hatte das Gefühl, ich muss das für uns beide tun.“ Auf die Frage, was sie denn damit genau meine: „Wir sind schon für viele Dinge verantwortlich gemacht worden, die nie stattgefunden haben. Ich musste mich wenigstens auf dem Platz zeigen.“
Seit die beiden zum ersten Mal vor gut fünf Jahren ganz offiziell gegeneinander gespielt haben, hat es immer wieder Unterstellungen gegeben, es könnte Absprachen innerhalb der Familie geben. Zuletzt war das Thema eigentlich vom Tisch; Serena war klar und für alle sichtbar die Nummer eins, Venus versuchte, die Lücke zu schließen, und beide sind überzeugt, das wäre diesmal in Wimbledon auch gelungen, wenn …
Ja, der Bauchmuskel. Am Ende war Venus Williams zwar erschöpft, vermittelte aber den Eindruck, ihre Sache gut gemacht zu haben an diesem Tag. Serena schlich umher, als sei sie gerade aus einem Albtraum aufgewacht. Alles, was es noch zu sagen gab, mündete in Lobesarien auf die Stärke und auf den Mut der älteren Schwester. Dann fiel der Vorhang, und es war endlich Schluss. DORIS HENKEL