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Archiv-Artikel

Erste Fanfare für den Frieden

Sollten die Amerikaner auf das Angebot Sadrs eingehen, wäre dies der Durchbruch in einem zähen Konflikt. Doch noch ist der Rückzug auf Eis gelegt

AUS BAGDAD INGA ROGG

Es war die erste wirklich gute Nachricht seit Wochen. Der militante schiitische Prediger Muktada al-Sadr forderte gestern Vormittag seine Kämpfer auf, sich aus Nadschaf zurückzuziehen. Die amerikanische Truppen und der Prediger hätten sich geeinigt, hieß es. Nur zwei Stunden später ruderte ein Sprecher von Sadr zurück und versetzte dem voreiligen Optimismus einen Dämpfer. Das Rückzugsangebot sei auf Eis gelegt, bis das amerikanische Militär dem Bedingungen für den Waffenstillstand zustimmt, sagte Kais al-Chasali. „Die Amerikaner haben unserer Initiative nicht zugestimmt“, so Chasali weiter. Der Abzug der Mahdi-Armee werde deshalb so lange ausgesetzt, bis die Amerikaner dem Vorschlag zustimmten.

Nach Angaben des amerikanischen Nationalen Sicherheitsberaters Mowafak al-Rubaei hat Sadr eine Erklärung unterzeichnet, in der er sich bereit erklärt, die nicht aus Nadschaf stammenden Milizionäre aus der Stadt abzuziehen. Zudem willigte er ein, die Kontrolle über die Sicherheit wieder an die irakische Polizei zu übergeben. Zu Beginn des Konflikts vor sieben Wochen hatten seine Milizionäre die zentrale Polizeiwache besetzt und die Fahrzeuge der Polizei gestohlen. Von den Amerikanern forderte er zwar weiterhin den Abzug aus der Stadt. Doch ist er bereit, die Präsenz einer kleinen Einheit zum Schutz des Gouverneurssitzes und anderer öffentlicher Einrichtungen zu akzeptieren.

Über das Schicksal seiner Mahdi-Armee solle das „schiitische Haus“ beraten, die führenden schiitischen Geistlichen, Stammesscheichs, Notabeln und Politiker. Um die tragische Lage in Nadschaf zu beenden, stimme er der Beendigung von bewaffneten Demonstrationen, der Räumung von Regierungsgebäuden sowie dem Abzug seiner Kämpfer zu, hieß es in der Erklärung.

Allerdings verlangte Sadr, dass das Gerichtsverfahren wegen Mordes an einem schiitischen Geistlichen bis zum Antritt einer legitimen irakischen Regierung ausgesetzt wird. Gegen Sadr liegt ein Haftbefehl vor, ihm wird zur Last gelegt, den Mord an dem liberalen Geistlichen Abdul Madschid al-Choei im April 2003 veranlasst zu haben. Am Mittwochabend nahmen die Amerikaner in Nadschaf einen Schwager des Eiferers fest, der ebenfalls wegen des Mordes gesucht wurde. Zudem haben die Amerikaner immer wieder verlangt, dass sich Sadr der irakischen Justiz stellt.

In den vergangenen Wochen sah es schon mehrfach nach einem Durchbruch in dem seit nunmehr sieben Wochen andauernden Konflikt aus. Doch jedes Mal ist Sadr kurz darauf zu seiner gewohnten militanten Rhetorik zurückgekehrt und hat seine Miliz zur Fortsetzung des Kampfes aufgefordert. Diesmal scheint man den Vorschlag auf Seiten der Amerikaner jedoch ernst zu nehmen. Ein Truppenkommandant vor Ort zeigte sich ausgesprochen optimistisch. Er gehe davon aus, dass die Amerikaner Sadrs Vorschlag honorieren und respektieren werden, sagte Rubaei auf einer Pressekonferenz.

Sollten die Amerikaner auf das Angebot Sadrs eingehen, wäre dies der Durchbruch in einem zähen Konflikt, in dem sie sich auf einem schmalen Grat bewegten. Einerseits durften sie militärisch die vom höchsten Geistlichen als rote Linie bezeichneten heiligen Stätten um den Schrein von Imam Ali nicht verletzen. Wollten sie aber nicht ein Debakel wie in Falludscha erleben, durften sie gegenüber der Miliz auch nicht zurückstecken.

Der höchste schiitische Geistliche, Ali Hussein al-Sistani, hat sich wie die meisten hochrangigen Würdenträger weitgehend aus dem Konflikt herausgehalten. Das könnte sich freilich ändern, sobald Sadr, der in den letzten Wochen nicht mit ätzender Kritik an dem betagten Ajatollah sparte, erst einmal in seine Schranken verwiesen ist. Das wissen aber auch die Amerikaner. Deshalb haben sie in Kerbela wie in Nadschaf ihr ganzes Können an militärischer Taktik aufgeboten, um nicht in die von Sadr gestellte Falle zu tappen.

Zugleich hat Sadr nicht nur an Kämpfern, sondern auch immer mehr an Einfluss eingebüßt. Seinen Aufrufen zum Aufstand ist in den letzten beiden Wochen niemand mehr gefolgt. Damit ist er auch damit gescheitert, sich als „Märtyrer“ im Kampf gegen die Besetzung zu stilisieren.

Kerbela, wo seit einigen Tagen wieder die irakische Polizei patrouilliert, und Nadschaf haben durch die Kämpfe dramatische ökonomische Einbußen erlitten. Beide Städte leben hauptsächlich vom Geschäft mit den Pilgern aus Iran, die wegen der Kämpfe immer mehr ausblieben. Nach einer Nacht ohne Schießereien wagten am Donnerstag erstmals seit Wochen wieder Ladenbesitzer, ihre Geschäfte zu öffnen.