: Schöne Grüße aus Neukölln
Ein Mädchenprojekt hat Postkarten entworfen, auf denen Jugendliche mit Pistolen posieren – und will so tägliche Gewalt thematisieren. Um die Motive ist jetzt im Kiez ein seltsamer Streit entbrannt: Ein Künstler wittert „Gewaltverherrlichung“
VON FLORIAN HÖHNE
Der Bräutigam zieht lässig mit der Hand das Sakko zurück: Eine dicke Pistole steckt an seinem Gürtel. Daneben zeigt die Postkarte seine Braut, sie hält einen Strauß Trockenblumen im Schoß. „… bis dass der Tod uns scheidet“ lautet die zynische Überschrift. Mit dieser und zwei weiteren Postkarten (siehe Fotos) macht der Neuköllner Jugendtreff MaDonna unter anderem auf die Praxis der Zwangsverheiratung aufmerksam und lädt darüber hinaus zu den Angeboten des Treffs ein – um die Karten und ihre Motive ist jetzt ein seltsamer Streit im Kiez entbrannt.
Besonders das „No East, No West, Neukölln is the best!“-Motiv erhitzte die Gemüter. Zu sehen sind drei Jugendliche im schwarzen Gangsterlook, ebenfalls mit riesigen Waffen. Die Karten wurden an Neuköllner Schulen verteilt, Lehrer bekamen welche, sogar die Polizei erhielt Exemplare. „Die meisten haben positiv reagiert“, sagt MaDonna-Mitarbeiterin Gabriele Heinemann. „Die haben gesehen, dass die Mädchen humorvoll ihre Situation aufgreifen und mit Klischees spielen.“
Ein Anwohner sieht das völlig anders, ein Kiezkünstler, der sich nur Daryl nennt. Er nennt das „Neukölln is the best“-Bild eine „geschmacklose Gewaltverherrlichung“. „In einer Siedlung, in der Gewaltpotenzial da ist, kann man nicht mit einer solchen Postkarte werben“, sagt er. Und kritisiert nicht nur die Postkartenaktion, nein, der ganze Mädchenclub strahle Gewaltbereitschaft aus. „Mädchen werden dort zu Männerfeindlichkeit erzogen.“
Heinemann verteidigt den MaDonna-Treff gegen den Künstler, der sich von Jugendlichen im Gangsterlook mit Spielzeugknarren bedroht fühlt: „Alltägliche Gewalt ist ein Thema, das die Jugendlichen mitbringen: familiäre Gewalt, kulturelle Gewalt, die die Mädchen als ‚Huren‘ denunziert, und die sexuelle Gewalt der Jugendcliquen.“ Mit den Bildern hätten die Mädchen ihre Situation humorvoll aufgearbeitet und außerdem auf das zu schlechte Image ihres Heimatkiezes reagiert.
Die Postkarten sind im Rahmen eines Computerprojekts entstanden, das vom Bund und vom Europäischen Sozialfonds gefördert wurde. Ziel war es, den Mädchen und jungen Frauen Lust aufs Lernen zu machen und ihnen Grafikprogramme am Computer näher zu bringen.
Die Themen und Motive kamen dabei von den Teilnehmerinnen selbst. „In gemeinsamen Rollenspielen haben wir Situationen erarbeitet, die dann auf die Postkarten kamen,“ erklärt Güner Balci, die Leiterin der Projektgruppe. „Wichtig war uns, dass die Mädchen selbst hinter den Motiven stehen.“
Für die Initiatorinnen kam die Beschwerde des Künstlers Daryl denn auch nicht völlig unerwartet. Denn der „sorgt“ sich schon seit längerem um den Mädchentreff und das Wohl des männlichen Geschlechts in Neukölln. In der Vergangenheit geriet er immer wieder mit Gabriele Heinemann aneinander. Noch vor kurzem hat sie ihn verklagt: „Er wollte ein Foto veröffentlichen, auf dem man ihn mit einem gemalten Porträt von mir sieht“, sagt Heinemann. „Ich will aber nicht mit ihm assoziiert werden.“
So geht es wohl eher um einen länger andauernden Privatkonflikt als um die Postkarten des Computerprojekts. Manchmal ist eine Pappkarte eben doch bloß eine Pappkarte.