Schleichwege auf die Uni mit Hindernissen

Für ein Abitur an deutschen Privatschulen zahlen studierwillige Chinesen viel Geld – und werden nicht selten von Vermittlern und Schulen abgezockt

Drei Jahre gymnasiale Oberstufe und das Abitur können an einer deutschen Privatschule 30.000 Euro kosten

30.000 Euro hat Wang Yangs Familie zusammengekratzt, um ihr einen Deutschland-Trip zu finanzieren. Die 21-Jährige aus der chinesischen Provinz Schangdong will hier studieren. 30.000 Euro kosteten drei Jahre gymnasiale Oberstufe am Freien Gymnasium Nauen, einer Kleinstadt in Brandenburg. Drei Jahre Umwegs zum gewünschten Ziel: einem Wirtschaftsingenieursstudium an einer deutschen Uni.

Die Investition in Wang Yangs Zukunft hat sich gelohnt. Sie gehört zu den ersten 30 chinesischen Privatschülern in Nauen, die in diesen Tagen ihr deutsches Abiturzeugnis bekommen. Wichtiger als der Notendurchschnitt „sehr gut“ ist für sie der damit verbundene Status „Bildungsinländerin“: Im Herbst wird sie zu den inzwischen 20.000 chinesischen Studierenden in Deutschland gehören. Ihre Aussichten in China schätzt sie rosig ein. „Viele lernen dort Englisch, aber kaum jemand Deutsch.“ Zwar rangieren britische und US-Hochschulen auch in der fernöstlichen Gunst weit vor den deutschen – doch Deutschland kann auf dem Bildungsmarkt im internationalen Vergleich als Billiganbieter punkten.

Auch Xin Li träumte von einem Studienplatz in Deutschland. Wie Wang Yang wollte der 23-Jährige den legalen Schleichweg übers deutsche Abitur nehmen – und verfuhr sich gründlich. Denn im jungen Bildungs-Business mit Fernost mischen hierzulande jede Menge schwarze Schafe mit. Dubiose Vermittler versprechen den jungen Lernwilligen das Bildungsparadies Deutschland. Xin Li geriet auf den Tipp eines Freundes hin nach Neuruppin, einer anderen brandenburgischen Kleinstadt. Dort hatte die Berliner Academy for Managers, Business and Languages (AMB) ein Privatgymnasium eröffnet. Bis zu 4.000 Chinesen, so kursierte es in der Stadt, wollte AMB-Chef Peter Klier dafür anwerben. Eine vermeintliche Goldgrube: 12.000 Euro Schulgeld jährlich musste jeder Bildungshungrige auf den Tisch legen.

Von den hochfliegenden Plänen sind nur Trümmer geblieben: Die AMB hat Insolvenz angemeldet, nachdem Peter Kliers Vermittler im vergangenen Jahr nur knapp zwei Dutzend Schüler aus China und Vietnam nach Neuruppin locken konnten.

Nachdem die AMB ins Schlingern geriet, übernahm das Berufliche Bildungszentrum der Prignitzer Wirtschaft (BBZ) die Schule. BBZ-Chef Heinz Thiede lässt kein gutes Haar an seinem früheren Geschäftspartner: „Die Schule war jämmerlich ausgestattet, die Lehrbücher waren nicht bezahlt, für alle Schüler stand nur ein einziger altersschwacher Computer zur Verfügung.“ Im Februar musste das Gymnasium zudem Hals über Kopf umziehen. Das Schulgebäude war wegen fehlender Fluchtwege nicht für den Unterricht geeignet. Thiedes Fazit: „Das ist bildungskriminell.“

Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft Berlin gegen Peter Klier wegen des Verdachts auf Betrug und Untreue. Ein deutsch-chinesischer Vermittler soll, noch nachdem der Schulträger wechselte, in China 78.000 Euro Schulgeld von insgesamt sieben Familien einkassiert und nicht weitergeleitet haben. „Das ist Quatsch“, sagt Peter Klier, will sich ansonsten nicht äußern.

Xin Li hat für ein verlorenes Jahr blechen müssen. „Es gab sehr wenig Unterricht“, sagt er zurückhaltend, „erst jetzt haben wir mehr Inhalte.“ Die neue Schulleiterin Pia Kampelmann hat die Sechstagewoche eingeführt, um die „extremen Defizite“ ihrer Schützlinge aufzuholen.

Der Fall Neuruppin zeigt, wie unbedarft einige Anbieter vom Lerngeschäft mit China profitieren wollten. Ein Einzelfall ist er nicht. Hunderte junger Chinesen waren vor kurzem von der Insolvenz ihrer Akademie in Bremerhaven betroffen. In China hat der Ruf deutscher Schulen nachhaltig gelitten. „Schüler und Eltern sind sehr vorsichtig geworden mit privaten Bildungsanbietern in Deutschland“, sagt Botschaftsrätin Liu Jinghui, Leiterin der Abteilung für Bildungswesen an der chinesischen Vertretung in Berlin. Beim Wort „Privatschulen“ hätte man in China an traditionsreiche Einrichtungen angloamerikanischen Typs gedacht. Das sei vorbei: „Private Bildungseinrichtungen in Deutschland sind noch nicht reif“, so das Fazit der Diplomatin.

Auch Irene Petrovic-Wettstädt, Schulleiterin des Freien Gymnasiums Nauen, räumt Fehler ein: „Wir wurden von der Nachfrage überrollt.“ Mit 80 Schülern startete sie vor drei Jahren ihr China-Experiment. Nur 30 hielten bis zum Abi durch, zehn schafften wenigstens die Fachhochschulreife. Die anderen kehrten frustriert zurück – oder tauchten in Deutschland ab. Die Ausländerbehörde des Kreises Havelland will nun nicht mehr als 15 bis 18 Schüler pro Jahrgang zulassen. Zu groß sind die Befürchtungen, dass gescheiterte Lernhungrige in die Illegalität abtauchen. Rektorin Petrovic-Wettstädt sieht die Beschränkung durchaus positiv. So fänden die Bildungsreisenden aus Fernost leichter Kontakt zu ihren deutschen Mitschülern: „Die Chinesen lernen die Sprache besser – und ihre deutschen Mitschüler kriegen Nachhilfe in Naturwissenschaften. Da sind die Chinesen unschlagbar.“JAN PHILIPP STERNBERG