: Die braven Besetzer
Seit gestern kontrolliert die Belegschaft das Druckmaschinenwerk KBA in Spandau. Denn die Zentrale in Würzburg will den Tochterbetrieb mit 114 Arbeitsplätzen schließen – obwohl er Gewinn abwirft
von JAN ROSENKRANZ
Merkwürdige Besetzer sind das. Tragen blaue T-Shirts, auf denen sie die Rendite preisen, die ihr Betrieb erwirtschaftet hat: 11,8 Prozent in 2002. Trinken Kaffee aus roten Tassen und bolzen lustlos auf dem Werkshof. Die IG Metall ist auch da. Fahnen flattern, Schirme stehen, Plakate hängen. Willkommen in der Streikidylle. Doch sobald ein Fremder den Fuß hinters Werkstor setzt, rufen die Besetzer: „Halt!“ „Aufs Gelände rauf, geht gar nicht. Das hat die Geschäftsführung verboten“, ruft eine Frau mit formverlorener Dauerwelle und Ehrfurcht in der Stimme, die vermuten lässt, man hat die Leitung auch gefragt, ob die etwas gegen die Besetzung hätte.
Seit sechs Uhr morgens und vorerst bis Freitag kontrolliert die Belegschaft dieses Werk in der Spandauer Mertensstraße. Damit das jeder erkennt, hängt am Tor ein Transparent: „Dieser Betrieb ist besetzt.“ Dieser Betrieb heißt KBA-Berlin, gehört zum Druckmaschinenhersteller Koenig & Bauer, Würzburg, und soll nach dem Willen der Konzernleitung zum Jahresende dichtgemacht werden. 114 Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel.
Weil die Zentrale kurzfristig 100 Millionen Euro sparen will und selbst freie Kapazität hat, soll die hiesige Montage von Teilen für Rotationsdruckmaschinen nach Würzburg verlagert werden. „Wir wollen nicht rationalisieren – wir wollen schließen“, soll Produktionsvorstand Peter Marr gesagt haben.
Betriebsrat Andreas Fernau tritt durchs Tor, seine Zigarette aus und sagt: „Rationalisieren wäre ja auch gar nicht nötig. Die Auftragsbücher sind voll bis Juni nächsten Jahres, und wir machen Gewinn.“ Fünf Millionen Euro allein im vergangenen Jahr. Aber das macht offenbar genauso wenig Eindruck wie das eigene Bemühen, einen neuen Investor zu finden. Heute hätten sie den so genannten Interessenausgleich unterschreiben sollen. „Aber das ist reine Erpressung, nicht einmal ein Sozialplan ist darin vorgesehen“, klagt Betriebsrat Fernau.
Deshalb die Besetzung. Reine Notwehr. Irgendwie müsse man den Arbeitgeber zu Verhandlungen zwingen. Immerhin: Während die Kollegen aus Plastikschüsseln Chili löffeln, findet im Spandauer Neoplan-Hotel ein erstes Gespräch statt.
1997 sah es ähnlich aus. Da hat der Senat mit EU-Geldern geholfen. 2,2 Millionen Euro sind geflossen, und die Firma hat versprochen, bis 2006 99 Arbeitsplätze zu halten. Deshalb ist heute sogar die Politik gekommen. Burgunde Grosse ist Spandauerin, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Berliner SPD und fragt sich, was man noch alles tun müsse, um in Berlin Stellen zu retten. „Der Senat wird jetzt natürlich das Geld zurückfordern“, sagt sie. Darum werde sie sich persönlich kümmern.
Es kümmern sich eine Menge Leute um das Problem. Auch die IG Metall. „Der Streik im Osten war schon falsch“, findet eine Frau. Aber viele würden jetzt daran denken, dass sie sich bald auch im Osten bewerben müssen und dann auch für weniger Geld mehr arbeiten müssten – wenn man sie lässt.
Wenn es nicht zynisch wäre, könnte sich Luis Sergio darüber freuen. Aber der Mann von der Berliner IG Metall ist einfach froh, der Basis mal wieder zeigen zu können, dass die IG Metall mehr kann als streiken und streiten. „Im Übrigen, hab ich nicht dazu aufgefordert, unsere Fahnen aufzuhängen. Das wollte die Belegschaft.“ Über 50 Prozent ist organisiert. Um eins sind die Verhandler der Besetzer zurück – im Gepäck nicht mehr als die Hoffnung, dass vielleicht verhandelt wird. Sie werden die Nacht im Schlafsack verbringen, und es bleibt nur die Angst um den Job und die Freude auf eine Bratwurst am Abend.