„Die hässlichste aller Schulen“

Kahlschlag bei Sprachförderung: 70 Prozent der Hilfen für schwächere Schüler sollen gestrichen werden. Lehrer wegen Abiverkürzung verstärkt für Stunden an Gymnasien benötigt. Zugleich klagen Eltern, Kinder hätten keine Zeit mehr für Hobbys

Katrin Heinig: „Ohne diese Stellen können wir Schüler nicht angemessen fördern“ Edda Georgi: „Gymnasiasten werden von allen Aktivitäten ausgeschlossen“

von KAIJA KUTTER

Als Bildungssenatorin Alexandra Dinges-Dierig (parteilos) im Mai die Umschichtung von 1.000 Lehrerstellen durch Vergrößerung der Klassen verkündete, war dies nur die halbe Wahrheit. Nach taz-Informationen plant die Bildungsbehörde zusätzlich einen Kahlschlag bei allen „Sonderbedarfen“ zur Förderung schwacher Schüler. Denn durch die angekündigte Erhöhung der Schülerzahl pro Lerngruppe allein lassen sich nur rund 550 – also gut die Hälfte – der 1.000 Stellen erbringen.

Noch ist der Lehrerstellenplan für die Jahre 2004 bis 2008 nicht beschlossen. Doch es gilt als sicher, dass die fehlenden 400 bis 450 Stellen beim Posten „Sprachförderung und weitere Sonderbedarfe“ eingespart werden. Das sind nach Schätzung von Experten 70 Prozent der Mittel, die bisher für die zusätzliche Förderung von Schülern aufgebracht wurden.

Konkret von dieser Kürzung betroffen sein sollen die „Plus“-Stunden zur Leseförderung, Deutsch für Ausländer, die Stunden zur Förderung von Zweisprachigkeit, der herkunftssprachige Unterricht und die Förderung deutscher Schüler bei hohem Ausländeranteil sowie der Fremdsprachenunterricht an den bilingualen Grundschulen.

Die Bildungssenatorin hatte im Mai lediglich erklärt, die Zuweisung für „Sprachförderung und weitere Sonderbedarfe“ werde ab Schuljahr 2005/2006 „neu positioniert“. So sollten die Rescourcen „gebündelt“ und auf Basis von Sozialdaten gezielter verteilt werden. Von einer derartigen Kürzung war nicht die Rede. Dinges-Dierig erklärte gar, die bisherige Zuweisung müsse auf den Prüfstand, „damit wir bessere Ergebnisse erreichen“.

„Diese Kürzung wird die Kluft zwischen armen und reichen Stadtteilen vertiefen“, erklärt dagegen die stellvertretende GEW-Vorsitzende Katrin Heining. „Ohne diese Rescourcen wird den Schulen die Grundlage entzogen, ihre Schüler angemessen zu fördern.“ Es mache sie wütend, dass die Senatorin erst ankündigt, sie wolle die Schwachen fördern und dann ohne neues Konzept den Kahlschlag betreibe.

Für neue Konzepte, etwa zur Förderung von Hauptschülern, lässt der Stellenplan denn auch kaum Luft, einzig für die abgespeckte Version von Ganztagsschulen werden wohl 248 Stellen übrig bleiben. Davon sollen allein die Gymnasien 98 Stellen für den Unterricht erhalten, der für die Abiturverkürzung nötig wird. Während die Schule dort an zwei Tagen nach der 5. Stunde endet, sollen die Schüler an drei Nachmittagen „Regelunterricht“ erhalten und bis 16 oder 16.30 Uhr büffeln. So sieht es ein Papier der Schulaufsicht vor, das jetzt die Gymnasien erreichte.

Die Stunden ließen sich auch gleichmäßig über die Woche verteilen, nur würde Hamburg dann nicht die Mindestkriterien erfüllen, um Geld für den Kantinenausbau vom Ganztagsschulprogramm des Bundes zu erhalten. Ein Plan, der die Eltern der betroffenen Schüler zunehmend unglücklich macht. „Das ist die hässlichste Ganztagsschule, die man machen kann“, beklagt ein Vater. Denn Kooperationsverträge für Neigungsangebote im Bereich Sport oder Musik gibt es nicht. Insbesondere Musikschulen, aber auch Kirchen und Sportvereine fürchten deshalb, dass ihre nachmittäglichen Angebote wie Konfirmationsunterricht oder Geige- und Cello-Stunden nicht mehr angenommen werden.

Eine Gruppe von Eltern hat ihre Sorgen jetzt in der Zeitschrift Tonart der Jugendmusikschule geäußert. Am Christianeum beispielsweise haben in den 6. Klassen knapp 70 Prozent der Schüler privaten Musikunterricht, 30 Prozent üben ihr Instrument mindestens dreimal pro Woche zuhause. „Dies wird bei der vorgesehenen Stundenbelastung nicht mehr möglich sein“, befürchtet Mutter Christine Kamlah. „Die Schulzeitverkürzung geht zu Lasten der interessierten und vielseitig aktiven Kinder“, ergänzt eine andere Mutter, Edda Georgi. „Sie schließt die gesamte Gruppe der Gymnasiasten von fast allen gesellschaftlichen Aktivitäten aus.“