Aderlass für den 1. FC Union

Der Zweitligaabsteiger muss bis Mittwoch 1,5 Millionen Euro Reserven vorweisen. Sonst stürzt er noch zwei Klassen tiefer. Fans spenden Blut, der Club hofft auf Sponsor Kölmel

Viele Fans des 1. FC Union sind vom Überlebenskampf gezeichnet. Ihre Gesichter wirken fahl, die Wangen hohl und die Leberwerte – na ja! Die letzten Wochen waren hart. Seit dem 14. Mai heißt es „Bluten für Union“: Der Club muss seine Anhänger zur Ader lassen. Denn der Deutsche Fußball-Bund fordert bis Mittwoch, 14 Uhr, eine Liquiditätsreserve in Höhe von 1,46 Millionen Euro. Andernfalls wird der Zweitliga-Absteiger aus Köpenick zwei Klassen tiefer in die Amateur-Oberliga zwangsversetzt. „Ich bin zuversichtlich, dass wir es schaffen. Aber wir müssen unsere Energie bündeln“, erklärt Aufsichtsratschef Antonio Hurtado. Die Millionengrenze auf dem Spendenkonto ist am Wochenende geknackt worden.

Am Samstag schleusten sich tausende Fans durch das Stadion in der Alten Försterei, um sich zugunsten der klammen Vereinskasse zu amüsieren. Mindestens 5 Euro kostete der Eintritt in der Wuhlheide, dafür konnte man den früheren DDR-Rockern „City“, Clown Marcello oder einer Kinderhüpfburg zujubeln.

Die nicht gerade gut betuchten Anhänger der „Eisernen“ haben ihr karitatives Soll übererfüllt. 250.000 Euro sollte die Kollekte im Fußvolk einbringen. Über 300.000 Euro erwirtschaftete die Basis durch Blutspenden, Kleindarlehen oder originelle Events. „Das ist als Signalwirkung positiv“, lobt Union- Sprecher Lars Töffling. Den großen Rest steuerten der vereinseigene Sponsorenpool und der Wirtschaftsrat bei.

Neben dem Regierenden Bürgemeister Klaus Wowereit zählt auch die CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus zu den stolzen Besitzern von Retter-T-Shirts mi der Aufschrift „Bluten für Union“ (Stückpreis: 15 Euro). Nach St. Pauli und Bayern München sagte inzwischen auch Hertha BSC ein Benefizspiel zu.

Alle wollen bluten! Darüber freut sich die Union-Führung, die schon Schwielen an den Händen hat vom Rühren der PR-Trommel. Über die Ursache der Bettelaktion redet sie nicht so gerne. Denn in Köpenick scheint sich eine tragische Geschichte als Farce zu wiederholen: Wie konnte der Club, den der Medienmagnat Michael Kölmel (Kinowelt AG) erst 1998 mittels einer Last-Minute-Finanzspritze in Millionenhöhe vor dem Konkurs gerettet hatte, wieder in eine derart gefährliche Schieflage geraten?

Auf der Mitgliederversammlung Ende Mai bezifferte ein Wirtschaftsprüfer die allein im Spieljahr 2002/2003 angehäuften Schulden auf 3,2 Millionen Euro. Für die abgelaufene Saison 2003/2004 prognostizierte der Controller ein weiteres Minus von 827.000 Euro. „Wir stehen vor einem Scherbenhaufen“, schimpft Union-Anhänger Kay Kunke. Er hat sich wie viele Mitglieder wohl zu sehr auf Heiner Bertram verlassen.

Der im Oktober 2003 abgesetzte Präsident stellte „seinen“ Club gerne als Musterbetrieb dar. Als konservativer Kaufmann, dem rote Zahlen zuwider seien, verkündtete Bertram: „Die Zeit des Schuldenmachens ist vorbei.“ Stattdessen wollte er den FC nach dem Ausflug in den Europapokal 2001/2002 bis in die Bundesliga führen. Zuletzt drängte er Senat und Verein zu einem 30 Millionen Euro teuren Stadionneubau in Köpenick. Ein Luftschloss, wie sich herausstellte. „Wir hätten nicht mal die Zinsen bezahlen können“, gesteht Bertram-Nachfolger Jürgen Schlebrowski.

Entsprechende Kommentare muss sich der Verein nun auch aus der Politik anhören. „Statt in einen Um- oder Neubau der Alten Försterei sollte Union in neue Spieler investieren, damit rasch der Sprung in die Zweite und dann vielleicht sogar in die Erste Bundesliga gelingt“, sagte Sportstaatssekretär Thomas Härtel (SPD) am Wochenende. Und der sportpolitische Sprecher der PDS-Fraktion, Walter Kaczmarczyk, ergänzte: „Die Innenstadt würde mehr Fans an den Verein binden. Die Vereinsführung sollte sich daher noch in diesem Frühjahr zu einem Umzug in das Friedrich-Ludwig-Jahn-Stadion durchringen.“

Umso überraschender hatten die Mitglieder im Mai dem glücklosen Bertram Entlastung erteilt. Kleinlaut kommentiert dieser den Niedergang des DDR-Pokalsiegers von 1968: „Wir haben in dieser Krise, die wir uns selbst zugefügt haben, alle Fehler gemacht!“ Dafür müssen nun Fans und Sponsoren bluten. Nicht zuletzt wohl Michael Kölmel, auf dem kurz vor Ablauf der DFB-Frist Unions Hoffnungen ruhen. „Meine Sympathie für Union ist ungebrochen“, verkündet der Unternehmer. Das lässt vermuten, dass Kölmel erneut als Retter von Köpenick einspringen könnte.

JÜRGEN SCHULZ