Wattenscheid verliert

Der fußballerische Abstieg der SG Wattenscheid 09 zieht den gesamten Stadtteil mit runter. Die Gegenwart lässt kaum Perspektiven zu

VON HOLGER PAULER

Der Abstieg der SG Wattenscheid in die viertklassige Oberliga hinterlässt Spuren – nicht nur bei den Verantwortlichen. Ein ganzer Stadtteil ist mit abgestiegen. „Wir müssen jetzt versuchen, das vollständige Ausbluten zu verhindern“, sagt der Präsident der SGW, Rüdiger Knaup. Er befürchtet, dass die erfolgreiche Jugendarbeit auf der Strecke bleibt. Die Mannschaften spielen in den obersten Ligen, die A-Jugend musste in der Bundesliga nur einigen Erstligisten den Vortritt lassen. Es wird schwer, diese Stellung zu behaupten. „Ich glaube, dass wir den Jugendlichen keine Perspektive mehr geben können“, sagt Knaup.

Er spricht vom Verein und könnte auch den Stadtteil meinen. Der Bevölkerung wurde der letzte Stolz genommen. Ein Stolz, der durch die Eingemeindung zu Bochum, im Jahre 1975 eher noch verstärkt wurde. Doch mit der Eingemeindung begann der wirtschaftliche und kulturelle Abstieg: Irgendwann verschwanden die Kinos, die Kneipen, die Kaufhäuser – und jetzt der Fußball.

Die Wattenscheider Perspektive schien auch andere nicht zu überzeugen. Nachbar Schalke 04 trat im Januar von einer geplanten Kooperation mit der SGW zurück. Die Sache war per Handschlag eigentlich besiegelt. Doch der Schalker Aufsichtrat legte sein Veto ein. Die Kosten-Nutzen Rechnung war zu schlecht. Das Abwandern über die Stadtgrenzen nach Schalke oder gar zum VfL Bochum scheint vorprogrammiert. Bei Spielern, vor allem aber bei den Fans. Von den 7-8.000 Besuchern aus der Bundesligazeit ist vielleicht ein Zehntel übrig geblieben. Der harte Kern. Zum Aussterben verurteilt. Anfang des Jahres startete der VfL eine Offensive an Bochumer Schulen, um die Jugend für sich zu gewinnen. Schwerpunkt der Aktionen: Wattenscheid. Die Resonanz war enorm.

Vor einem knappen Jahrzehnt war das noch undenkbar. Damals spielten die SG Wattenscheid und der VfL Bochum gemeinsam in der Bundesliga. Drei Jahre lang. Von 1990 bis 1993. Nach dem Abstieg des VfL im Jahre 1993 war die SGW sogar der alleinige Vertreter Bochums in der ersten Liga. Danach folgte der stetige Abstieg. In der kommenden Saison trifft die SG Wattenscheid wieder auf den VfL Bochum. Auf die Zweitvertretung. Eine Demütigung.

Auch für den stolzesten aller Wattenscheider. Modeunternehmer Klaus Steilmann. Jahrelanger Vereinschef und Mäzen. „Für Wattenscheid bedeutet dies einen tiefen Einschnitt ich bin persönlich getroffen.“ Seinen Hauptwohnsitz verlegte er vor Jahren nach Essen, damit ja kein ‚BO‘ auf dem Nummernschild prangt. Er ist Wattenscheider mit Leib und Seele – und mit seinem Geld. Jetzt zog er sich als Sponsor zurück. Es wurde zu viel. Früher stand er bei jedem Heimspiel hinter dem Tor oder saß auf der Trainerbank, neben seinem Ziehsohn Hannes Bongartz. Zum entscheidenden Spiel nach Münster fuhr er erst gar nicht mit. „Ich habe gewusst, dass die Mannschaft verliert“, lautet sein lakonischer Kommentar. Auch das Modegeschäft läuft nicht mehr. Vor fünf Jahren gab der bald 75-Jährige die Geschäftsführung ab. Seine Nachfolger mussten kürzlich über 400 Mitarbeiter entlassen. Ein weiterer Schlag für Wattenscheid.

Ein Blick auf die Homepage zeigt, wie unvorbereitet der Abstieg den Club traf. In der Regionalliga-Tabelle rangiert die SG dort noch auf Platz 13, zwei Plätze vor Preußen Münster, vor dem Abstieg. Gestern wurde schließlich der Spieler Marcel Witeczek zum Spielertrainer umfunktioniert. Er tritt das Erbe von Hannes Bongartz an. Dem Bundesligamacher, dem ewigen Wattenscheider. Über die sportlichen Ziele wollten die Verantwortlichen nicht reden: „Wir müssen erst einmal eine Mannschaft haben.“