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Archiv-Artikel

village voice Sind wir radikal: Das Bierbeben und andere Verbrechen

Weil sich Alt und Neu doch immer so schön befruchten, gibt es dieser Tage zwei lustige neue Platten aus Berlin: Like A Tim und Gina V. D’Orio ziehen auf „Bass Girl“ amerikanische Girl-Group-Evergreens durch ein Säurebad aus Acid-Sounds, während auf „No Future No Past“ Das Bierbeben asbachuralte Politparolen über neumodischem Minimal-Techno skandieren. Unweigerlich fragt man sich da: Ist die Musik wirklich schon so am Ende?

Den Dancefloor zu politisieren, daran haben sich ja schon viele die Zähne ausgebissen. Das Bierbeben, ein ursprünglich im Scherz geborenes Projekt diverser zum Teil in Berlin lebender Tocotronic-, Stella- und Poptarts- Mitglieder, bedient sich der inhaltlich stark beschnittenen Parolen des Deutschpunk und schließt sie mit Techno kurz, der sich ja gerne als komplett un- bzw. antipolitisch versteht. Wie die strikte Zukunftsverweigerung mit der ebenso strikten Vergangenheits- und Verantwortungszurückweisung zusammengehen soll, diese Frage beantwortet der orientierungslos zwischen „bratzig-böse“ und „happy-housig“ schlingernde Techno-Entwurfs des Bierbebens leider nicht.

Der Wunsch, den banalen „Move your body! Shake that ass!“-Texten moderner Clubhits etwas entgegenzusetzen, sie quasi von links zu hijacken, ist selbstverständlich ehrenhaft, doch platte Stammtisch-Weisheiten wie „Ihr seid Räder im Getriebe der Maschine, die euch platt walzt“ verhallen im Clubkontext doch viel zu schnell, als dass sie eine Chance bekämen, Denkanstöße zu liefern.

Schlimmer noch: Die Agitation geht komplett nach hinten los. Der Bier- oder sonst wie berauschte Technoraver erkennt auf der Tanzfläche möglicherweise bereits in den polternden Bierbeben-Tracks genau die „Maschine“, die ihn „platt walzt“, und ist im Zweifelsfall sogar dankbar dafür. Ist doch auch die am eigenen Körper angewandte Drogenvernichtung nichts anderes als die wortwörtliche Umsetzung des alten Ton-Steine-Scherben-Slogans „Macht kaputt, was euch kaputtmacht“. Zerdeppert derselbe Raver dann zu „Schlag deinen Fernseher kaputt“ im Affekt tatsächlich seine Glotze, geht er schon am nächsten Tag wieder raus und besorgt sich eine neue. Sprich: Er kurbelt die Wirtschaft an! So schnell ist’s aus mit der schönen Bierbeben-Subversion.

Ähnlich – wenn inhaltlich auch vollkommen anders – scheitert „Bass Girl“, die Kooperation der Berliner Cobra-Killerin Gina V. D’Orio und des berüchtigten holländischen Acid-Freaks Like A Tim. Auch die beiden nahmen sich vor, Unvereinbares zu vereinen: Sixties-Girlgroup-Classics instrumentiert mit nichts anderem als dem legendären Roland-TB-303-Synthesizer; unvergessene Jukebox-Favoriten wie The Shangri-Las „Leader of the Pack“ oder Diana Ross & The Supremes’ „Where Did Our Love Go?“ auf Acid-Blubbereien. Am Timing kann’s nicht liegen, dass einem auch diese Platte so gründlich auf den Sack geht: Acid-House feiert derzeit ein stattliches Comeback, und andere auf stilistische Rekontextualisierung bedachte Coveralben wie das von Senor Coconut wurden jüngst eifrig beklatscht.

Like A Tim verwässert das schöne Konzept dadurch, dass er zur 303 noch andere, überaus beliebige Sounds addiert, während Gina V. D’Orio – wie sie selbst auch ganz offen zugibt – nicht einmal singen kann. Ehemals wunderschöne Songs nun also mit halbsauren Basslines und halb getroffenem Gesang – wer will, wer kann das hören?

Somit muss man beiden Formationen eine so simple wie neunmalkluge Weisheit mit auf den Weg geben – dass Ideen immer nur dann eine Chance haben, wirklich gut zu sein, wenn man konsequent genug ist, sie zu Ende zu denken. JAN KEDVES

Das Bierbeben „No Future No Past“ (Shitkatapult/Kompakt) Like A Tim vs. Gina V. D’Orio „Bass Girl“ (Dub/Clone)