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Archiv-Artikel

Kein Grundrecht auf Schlagstock

Corpsgeist statt Schutz der Versammlungsfreiheit: Amtsgericht verurteilt drei Polizisten zu zwölf Monaten auf Bewährung, weil sie auf einer Bambule-Demo Zivilkollegen verprügelten. Staatsanwalt spricht von „handfestem Polizeiskandal“

von ELKE SPANNER

Wären ihre Opfer keine Polizisten gewesen, sagte der Staatsanwalt, wären die Täter nie auf der Anklagebank gelandet. Dann hätten dort nicht drei Polizisten Platz nehmen müssen wegen des Vorwurfs der gefährlichen Körperverletzung, begangen im November auf einer Bambule-Demonstration. Dann säßen die verprügelten Demonstranten selbst dort, vermutete der Staatsanwalt, in einem Prozess wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt. Auch Amtsrichter Thomas Semprich ist überzeugt, dass es bei der Misshandlung normaler Demonstranten nicht einmal gelungen wäre, die Prügel-Polizisten zu identifizieren. In diesem Fall aber waren es zwei Kollegen in Zivil, die von Erfurter Beamten verprügelt worden waren. Die verurteilte das Hamburger Gericht gestern zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten auf Bewährung. Sollte das Urteil rechtskräftig werden, wäre es mit deren Laufbahn im Staatsdienst vorbei.

„Wenn Polizisten Straftaten begehen, ist man als Bürger hilflos“, sagte der Richter und warf den drei Polizisten den Missbrauch ihres Gewaltmonopols vor. Sie hätten das grundrechtlich geschützte Demonstrationsrecht ausgehöhlt. Das würde leer laufen, wenn Teilnehmer einer Kundgebung Angst davor haben müssten, von gestressten Polizisten verprügelt zu werden. In dem Fall könne man sich nicht einmal an andere Polizisten wenden, aus Angst, „vom Regen in die Traufe zu kommen“. Die drei Angeklagten, warf auch der Staatsanwalt ihnen vor, hätten „das Grundrecht der Versammlungsfreiheit mit dem Schlagstock geschlagen“.

Dabei seien die zwei Zivilbeamten aus Schleswig-Holstein durch ihre Ausbildung sogar noch in gewissem Umfang in der Lage gewesen, sich gegen die Schläge zur Wehr zu setzen. Dennoch waren die Verletzungen so schwerwiegend, dass die Opfer eine Woche dienstunfähig waren.

Die Verteidiger plädierten auf Freispruch. Ein konkreter Tatbeitrag habe den einzelnen Angeklagten nicht nachgewiesen werden können. Gleichzeitig aber behaupteten sie, ihre Mandanten wären zwischenzeitlich zu Geständnissen bereit gewesen – und daran von der Erfurter Polizeiführung gehindert worden. Man könne nicht von ihnen erwarten, sich gegenseitig zu belasten und sich zudem noch gegen ihren Dienstherren zu stellen. Doch, konterte der Staatsanwalt: „Polizeibeamte, die dermaßen in Corpsgeist verhaftet sind und da auch nicht mehr ausbrechen wollen, haben bei der Polizei nichts mehr zu suchen.“ Dass die drei trotz der schweren Vorwürfe bedingungslos von der Thüringer Polizeiführung gedeckt worden waren, mache die Sache zum „handfesten Polizeiskandal“.

Um eine Fortentwicklung des „Corpsgeistes“ zu verhindern, verhängte der Richter mit zwölf Monaten eine Freiheitsstrafe, wegen der die Polizisten aus dem Dienst entfernt werden müssen. Denn es sei nicht zu erwarten, dass in Thürigen disziplinarrechtliche Schritte gegen die drei eingeleitet würden. Amtsärzte hätten das Trio zwischenzeitlich mit falschen Attesten krankgeschrieben. Die gegen sie verhängten Haftbefehle seien im Freistaat nicht vollstreckt worden. Ein Thüringer Staatssekretär habe den Richter brieflich aufgefordert, die Haftbefehle wieder aufzuheben, und der Thüringer Innenminister Andreas Trautvetter (CDU) habe gar vom Hamburger Justizsenator Roger Kusch (CDU) das Gleiche verlangt. Dessen Reaktion bestätigte die richterliche Begründung nachträglich: Das Berufsverbot für die drei Prügel-Polizisten, schimpfte Trautvetter, halte er für „zu hart“.

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