piwik no script img

Archiv-Artikel

Die marokkanische Justiz arbeitet schnell

Nächste Woche beginnen die Prozesse wegen der Anschläge in Casablanca. Zehn Islamisten zum Tode verurteilt

ALGIER taz ■ Die Räder der marokkanischen Justiz mahlen schnell. Am 21. Juli, nur etwas mehr als zwei Monate nach den Anschlägen von Casablanca, bei denen 44 Menschen – darunter 12 Attentäter – ihr Leben verloren, werden die Prozesse beginnen. Mindestens 134 Islamisten werden vor Gericht gestellt.

Die Angeklagten gehören zum Umfeld der salafistischen Gruppen in Marokko. Die 12 Selbstmordattentäter, die am 16. Mai diesen Jahres westliche und jüdische Einrichtungen in Marokkos Wirtschaftsmetropole angriffen, stammen, so die Ermittler, aus dieser radikalen islamistischen Strömung, die von Saudi-Arabien ideologisch beeinflusst ist. Bei den Angeklagten soll es sich um mutmaßliche künftig Selbstmordattentäter sowie um Islamisten handeln, die bei den Anschlägen logistische Hilfe geleistet haben.

Was die angeklagte Islamisten erwartet, zeigt ein Prozess, der letzte Woche in Casablanca zu Ende gegangen ist. Von 31 Angklagten aus dem Umfeld des „Salafistischen Dschihad“ wurden 10 zum Tode verurteilt. Und das, obwohl sie nicht direkt in die Anschläge verwickelt waren. Sie saßen im Mai bereits in Haft. Ihnen wurde vorgeworfen, eine kriminelle Vereinigung gegründet zu haben, die „Ungläubige“ in den Elendsvierteln Casablancas „bestrafte“. In den letzten Jahren wurden von der Gruppe mehrfach Trunkenbolde und vermeintlich unzüchtige Frauen angegriffen – bis hin zur Steinigung. Die Anwälte beschwerten sich immer wieder, dass die Aussagen der Verurteilten unter Folter zustande gekommen seien.

Unter den zum Tode veurteilten befindet sich Youssef Fikri, der „blutige Emir“, wie ihn die marokkanische Presse taufte. Der Anführer der radikalen Salafistischen Dschihad soll, davon sind die marokkanischen Behörden überzeugt, einer der geistigen Väter der Anschlagsserie von Casablanca sein. Die Justiz glaubt beweisen zu können, dass die Attentäter, die neben dem Salafistschen Dschihad der Gruppe „Gerechter Weg“ angehörten, ins Ausland und zu al-Qaida Kontakt hatten.

So befindet sich unter den Beschuldigten Pierre Robert. Der in seiner Jugend zum Islam übergetretene 31-jährige Franzose soll einer der „Emire“ der radikalen Bewegung in Marokko sein. Demnach wurde Robert in Afghanistan ausgebildet, wo er direkten Kontakt zu Ussama Bin Laden gehabt haben soll.

Die zweite Spur führt nach Spanien. Dort wurde der Marokkaner Abdelazziz Benyaich festgenommen. Er absolvierte eine militärische Ausbildung in Afghanistan. Danach kämpfte er aufseiten der Muslime in Bosnien. Laut Justizminister Mohammed Bouzoubaa sollen die Anschläge aus dem Ausland finanziert worden sein. „Wir haben Überweisungen für einige der Beteiligten aufgedeckt“, sagt er.

Der marokkanischen Vereinigung für Menschenrechte (AMDH) das geht alles zu schnell. So beklagte die AMDH immer wieder die willkürlichen Verhaftungen. Über 1.000 Islamisten wurden in den Wochen nach den Anschlägen vorübergehend festgenommen. Darunter befanden sich auch Führer der halblegalen „Gerechtigkeit und Wohltätigkeit“, und das, obwohl diese größte islamistische Organisation in Marokko Gewalt immer wieder verurteilt. Die Verhaftungen wurden meist unter Berufung auf ein neues, kurz nach den Anschlägen verabschiedete Antiterrorgesetz begründet. „All das ist ein Schritt zurück bei der Entwicklung der Freiheiten“, beschwert sich der Vorsitzende der AMDH, Amine Abdelhamid.

Die AMDH und die der mitregierenden sozialistischen Partei nahe stehenden Organisation für Menschenrechte (OMDH) versuchen seit Wochen vergebens herauszufinden, was mit dem Hauptangeklagten Abdelhak Bentassir geschah. Er wurde der Öffentlichkeit kurz nach den Anschlägen als „Koordinator der Selbstmordattentäter“ vorgestellt. Nur wenige Stunden nach seiner Verhaftung in Fez starb er, an „einer Herz- und Leberkrise“, so die Gefängnisärzte. Beide Menschenrechtsorganisationen verlangen seither vergeblich eine Aufklärung der genauen Todesumstände. REINER WANDLER