: Häufeln für mehr Demokratie
Neues Wahlrecht für Hamburg: Das Basis-Modell der Initiative siegte beim gestrigen Volksentscheid klar über den Gegenentwurf von CDU und SPD. Während die großen Parteien Trauer tragen, jubeln GAL und FDP mit der Initiative
Von peter ahrens und gernot knödler
Seit gestern Abend um 20.41 Uhr hat Hamburg ein neues Wahlrecht. Da meldeten die Statistiker des Landeswahlamtes, dass der Entwurf der Volksinitiative die notwendige Stimmenmehrheit errungen hat. 66,5 Prozent der WählerInnen hatten sich für das Modell der Initiative entschieden. Der Gegenentwurf von SPD und CDU blieb mit 53,9 Prozent deutlich dahinter zurück. Während die Fraktionschefs von SPD und CDU Michael Neumann und Bernd Reinert das Ergebnis „bedauerten und respektierten“, jubelte die Initiative gemeinsam mit den sie unterstützenden Parteien GAL und FDP.
„Das ist eine politische Revolution“, prophezeite der grüne Verfassungspolitiker Farid Müller. „Nie wieder soll jemand sagen: Man kann als BürgerIn in der Politik nichts bewegen“, kommentierte die Sprecherin der Initiative, Angelika Gardiner, die nach dem Sieg „ganz wacklige Knie“ bekam. Diese Entscheidung habe „Beispielcharakter für die ganze Republik“, so Gardiner, und für ihren Kollegen Manfred Brandt war „es jetzt wichtig, den Menschen das Gefühl zu vermitteln: Mensch, ihr habt euch euer eigenes Wahlrecht gegeben.“
Bei der kommenden Bürgerschaftswahl dürfen die HamburgerInnen demnach mehrere Stimmen auf mehrere KandidatInnen verteilen oder häufeln. Es wird 17 Wahlkreise in der Stadt geben, nur noch 50 der 121 Abgeordneten werden über die Liste ins Parlament einziehen.
Für Neumann ist das „eine besondere Herausforderung an uns Politiker“. Er hält die Entscheidung für falsch und machte daraus keinen Hehl: „Für die Initiative ist es ein wunderbarer Tag, für Hamburg eher ein trauriger.“ Sein CDU-Pendant Reinert verlangte, vor der nächsten Bürgerschaftswahl „viel Aufklärungsarbeit zu betreiben, damit die Wahlbeteiligung nicht sinkt“.
Diese Gefahr sehen FDP und GAL nicht. Künftig werde es mehr Gewicht „für alle die geben, die sich von der Politik vergessen wähnten“, prognostizierte Müller. FDP-Landeschef Leif Schrader freute sich vor allem darüber, dass „Hamburg jetzt deutschlandweit mit seinem Wahlrecht ganz vorn liegt“. Andere Bundesländer hätten schon nach den Hamburger Erfahrungen gefragt, berichtete Gardiner.
Mindestens 242.987 Stimmen musste einer der beiden Entwürfe erreichen, um das Mindestquorum von 20 Prozent der Wahlberechtigten zu erreichen. Bis kurz vor Schluss der Abstimmung war es deswegen spannend geblieben, obwohl schon frühzeitig klar war, dass der Bürgerschaftsentwurf keine Siegchance mehr haben würde. Am Ende waren es mehr als 253.000 Stimmen, die das Initiativenmodell auf sich vereinigen konnte.
Im Infocafé der Volksinitiative feierten 30 bis 40 Mitstreiter das Ergebnis, indem sie Volkslieder zur Quetschkommode sangen und Gruppenfotos machen ließen. „Wenn wir das geschafft haben, dann funktioniert die Demokratie noch“, war die Reaktion auf die erste Nachricht vom Ergebnis. Mitkämpfer Ulrich Piel brachte auf den Punkt, was viele an diesem Abend ähnlich ausdrückten: „Der Einstieg ist endlich gelungen.“ Jetzt gehe es darum, eine demokratischere Kultur in Hamburg zu etablieren, sagte Christof von Bechtolsheim, der einen Landesverband der Organisation „Mehr Demokratie“ fest etablieren soll.