: Grünen-Fraktion gegen Heirat wider Willen
Neue Regeln sollen junge Frauen ausländischer Herkunft effektiver vor Zwangsverheiratung durch Eltern schützen
BERLIN taz ■ Auch in Deutschland werden Frauen zwangsverheiratet. Wie viele betroffen sind, weiß niemand. Die bundesweit einzig gesicherte Zahl stammt aus Berlin. Dort ergab eine Senatsumfrage im letzten Jahr, dass sich 230 verzweifelte Mädchen an Beratungsstellen gewandt hatten. Sie stammten vor allem aus einem türkischen oder kurdischen Umfeld, aber auch Albanerinnen, Roma oder Marokkanerinnen meldeten sich. Experten sind sich einig, dass die Dunkelziffer sehr viel höher liegt. Die grüne Bundestagsfraktion lud daher gestern zu einem Fachgespräch. Man forderte unter anderem mehr Aufklärung und Beratungsstellen für die Betroffenen.
Allerdings beginnen die Schwierigkeiten schon bei der Definition: Was ist eine Zwangsheirat? Terre des Femmes schätzt, dass weltweit etwa 60 Prozent aller Ehen arrangiert werden. Fast immer sind die Mädchen minderjährig. Dieser Brauch ist keineswegs nur bei Muslimen verbreitet, sondern kommt bei allen Religionen und auf allen Kontinenten vor. Zentrale Gemeinsamkeit: Es handelt sich immer um patriarchalisch strukturierte Gesellschaften.
Aber nicht jede arrangierte Ehe ist eine Zwangsheirat, sondern wird meist auch vom Brautpaar akzeptiert. Brisant wird es, wenn sich die Mädchen weigern, das Ehedekret der Familie zu befolgen. Dann kommt es schnell zu psychischem Druck, dann wird mit Liebesentzug gedroht. „Aber die Grenzen sind fließend, das kann bis zum Mord gehen“, sagte die Rechtsprofessorin Dorothee Frings gestern.
Die kurdischstämmige Rechtsanwältin Seyran Ates beklagte, dass den meisten Eltern das Unrechtsbewusstsein fehlt. Daher fordert sie einen Straftatbestand, der Zwangsheiraten ahndet. Bisher können die Mädchen nur wegen Körperverletzung, Nötigung, Freiheitsberaubung oder Ähnlichem klagen. „Doch das sind hohe Hürden“, bemängelte Ates. Vor allem aber würden diese hilfsweise herangezogenen Paragrafen den Eltern „nicht klar signalisieren, worum es geht: dass Zwangsheirat eine Menschenrechtsverletzung ist“.
Die Grünen wollten sich diese Forderung gestern nicht umstandslos zu Eigen machen. Aber ihre frauenpolitische Sprecherin Schewe-Gerigk versprach, „das gründlich zu prüfen“. Zunächst einmal würden die Grünen gern das Ausländerrecht reformieren. So kommt es immer wieder vor, dass Mädchen mit gesichertem Aufenthaltsstatus in Deutschland von ihren Eltern ins Herkunftsland verbracht werden, um dort eine ungewollte Ehe einzugehen. Sechs Monate nach dieser „Ausreise“ erlischt die Aufenthaltsgenehmigung für Deutschland. Die Mädchen können nicht mehr zurück. Da wünscht sich Schewe-Gerigk kulantere Lösungen und ist optimistisch, dass die SPD mitzieht: „Ich habe nicht den Eindruck, dass da Türen zu sind.“
ULRIKE HERRMANN