: Aguascalientes in Neu Zittau
Auf dem Gelände einer ehemaligen Stasi-Funkzentrale entsteht ein Kulturzentrum. Die Gründer sind Sympathisanten der mexikanischen Zapatisten. Sie hatten hier bereits die „erste indigene Botschaft Europas“ ins Leben gerufen
Noch liegt Stille über dem Kesselberg bei Neu Zittau. Wer sollte sich auch auf 45 Hektar große Areal verirren, das sieben Kilometer hinter dem S-Bahnhof Erkner abgeschieden im Wald liegt? Doch das könnte sich demnächst ändern. Denn bei einer Versteigerung des Geländes bekam vor wenigen Tagen der Verein Ökologisches Kulturzentrum Kesselberg den Zuschlag. Die stolze Kaufsumme von 103.000 Euro wurde fast vollständig durch eine Spendenkampagne aufgebracht. In den nächsten Wochen muss der Rest von knapp 30.000 Euro aufgetrieben werden. Dann wird der Verein als Eigentümer ins Grundbuch eingetragen.
Für Tommy geht damit ein Traum in Erfüllung. „Da wird ein Stück zapatistische Utopie Wirklichkeit“, sagt er fast euphorisch. Wie viele Linke fuhr der projekt-erfahrene Westberliner Mitte der 90er-Jahre in den südmexikanischen Regenwald. Die Zapatistas hatten sich in der Provinz Chiapas gegen die Regierung erhoben und SympathisantInnen aus aller Welt fasziniert. Eine neue Linke ohne Dogmen und Hierarchie wurde beschworen. Schnell bildeten sich zapatistische Netze in vielen Ländern der Welt.
In Berlin haben Tommy und viele andere mitgeknüpft. Den gemeinsamen Traum vom Leben, Arbeiten und Politikmachen, diskutierten die Beteiligten intensiv. Das Kesselberg-Gelände schien für die Umsetzung der gemeinsamen Utopie gut geeignet. Schließlich wurde die ehemalige Stasi-Funkzentrale in den Neunzigern auf ABM-Basis zu einem ökologischen Modellprojekt ausgebaut. Noch heute finden sich auf dem weitläufigen Gelände überall Spuren davon, von der bepflanzten Schallschutzmauer bis zu den Sonnenkollektoren auf einem der neun Häuser. Doch die ABM-Gelder waren ausgelaufen, die Projektpartner hatten sich zerstritten. Das führte 1997 zum Ende des allseits gelobten Projekts.
Damals wurden die vom Zapatismus inspirierten BerlinerInnen auf das Gelände aufmerksam. Sie machten daraus die „erste indigene Botschaft Europas“. Vertreter der UreinwohnerInnen aus Mexiko, Panama, Venezuela, Brasilien und Kolumbien diskutierten auf dem Kesselberg ihre Probleme, die Ursachen und Lösungsansätze. Mehrmals erhielten die indigenen Gäste Einladungen ins Schöneberger Rathaus, manchmal schafften sie es auf die Lokalseiten der Berliner Presse.
Doch im letzten Herbst drohte dem Projekt das Aus. Die Bank für Gemeinwirtschaft forderte als Grundstücksverwalter den Kesselberg-Verein zur sofortigen Räumung auf. Denn mittlerweile hatten zahlungskräftige Käufer Interesse an dem Grundstück bekundet. Die Errichtung eines Schulungszentrums für Mitarbeiter eines Pharmaunternehmens war im Gespräch. Daraus wurde letztlich nichts: Eine erste Versteigerung im Oktober 2002 ging ergebnislos zu Ende.
Das ermutigte den Verein, sich selbst an der Versteigerung zu beteiligen. So könnte in einigen Jahren ein reaktiviertes Ökologisches Zentrum Kesselberg entstehen, ein kleines „Aguascalientes“, wie Tommy es in Anspielung auf das internationale Tagungshaus der Zaptatisten in Chiapas nennt. Doch zunächst kommt viel Arbeit auf die AktivistInnen zu. Die Heizungsanlage muss instand gesetzt werden, einige Häuser sind dringend renovierungsbedürftig. Auch dafür heißt es Gelder zu akquirieren. Tommy ist zuversichtlich: „Wir schaffen die Infrastruktur. Aber für die Inhalte brauchen wir Anstöße von außen.“ Schon jetzt können in einem Haus Tagungen und Seminare zu niedrigen Preisen durchgeführt werden. SpenderInnen und HelferInnen werden dringend gesucht. Der Aufruf hat auch schon in der unmittelbaren Nachbarschaft Gehör gefunden: Die Antifa Erkner hat ihr Domizil mittlerweile auf den Kesselberg verlegt.
PETER NOWAK
Info und Kontakt: www.kesselberg.info