: And they called it puppet love
Die Cologne Conference ist ein NRW-Festival, das Trends und Tendenzen des internationalen Fernsehens aufspüren und aktuelle Fragen zu Medienkultur und Medienökonomie klären will. Screenings on Demand gibt einen professionellen Überblick der internationalen Fernsehproduktion
VON STEFFEN GRIMBERG
Die Cologne Conference ist Institution und Geheimtipp zugleich, auch in ihrem 14. Jahr: Für Sendervertreter und die Branche gehört das internationale Fernseh- und Filmfest Köln längst als fester Bestandteil zum Terminkalender (siehe Flimmern und Rauschen). Dass alle Filme auch für das allgemeine Publikum zugänglich sind, hat sich außerhalb der Domstadt noch nicht wirklich herumgesprochen. Der Ausflug lohnt in diesem Jahr besonders: Selten war die Auswahl der Top Ten Fiction so abgedreht.
Denn was ist von einem Schönheitschirurgen zu halten, der mit seiner Motoryacht „Boatox“ auf den Wassern von Miami Beach herumschippert und in seiner Praxis schon mal kinderschändenden Drogenbossen die polizeibekannte Visage verfremdet? Oder der solventen Kundschaft das ein oder andere Arsch-Implantat verkehrt herum in den Allerwertesten steckt? Die Warner Bros.-Produktion „Nip/Tuck“ lässt jedenfalls kaum ein Klischee aus, schnippelt hemmungslos und meistens völlig unnötigerweise am menschlichen Körper herum, und schafft es trotz allen Klamauks, dass einem das Lachen ob der ernsten Materie auch mal im Halse stecken bleibt. „Can I buy you a drink?“, fragt da der Doc. „I don‘t drink“ - „Can I buy you an appetizer ?“ - „I don‘t eat, I‘m a model...“.
Der Preis für das absurdeste Stück Fernsehen geht auch in diesem Jahr wieder an die Briten. Für die Kleinsten der Kleinen hatte die BBC einst die „Teletubbies“ erfunden, für die Erwachsenen gibt es jetzt „Fur TV“. Fur heißt auf deutsch Fell, die Hauptdarsteller sind Puppen auf ihrem Marsch durch die Echtmenschenwelt, doch nix ist mit plüschig-pädagogischer Sesamstraßentauglichkeit: Hier geht es um „Puppet Love“, ach was: um Sex. Motto: „Once a girl has tried a puppet, she never goes back“. Jede Wette, dass diese Serie nie einen deutschen Sender findet.
Zu toppen wäre ein solcher Tabu-Bruch wahrscheinlich nur noch durch die Homestory einer abgewrackten Familie, Mutter abgehauen, der Vater inkontinenter Alkoholiker, die Töchter himmelhoch in einen viel zu jungen Gebrauchtwagenhändler verknallt. Der Streifen „Shameless“ ist ein komischer Frontalangriff auf‘s Mittelstandsidyll, der bei aller Krassheit die chaotischen Lebensumstände seiner HeldInnen im nordenglischen Manchester geradezu liebevoll verfolgt. Damit niemand denkt, das britische Fernsehen habe seine Fähigkeit für das große, packende, politische Fernsehspiel verloren: Gleich zwei überdurchschnittliche Beispiele laufen auf der Cologne Conference: „England Expects“ ist die Geschichte von Ray (Steven Macintosh aus „Lock, Stock and Two Smoking Barrels“), der bei einer großen Bank als Wachmann arbeitet und sich zu einer erfolgreichen Börsenmaklerin hingezogen fühlt. Ein Kontrollfreak und Aufsteigertyp, der mit Olivenöl kocht und getrennt von seiner Fish&Chips-Frau und Tochter lebt, die weiter in einer Absteige hausen. Und damit hadern, dass die neuen, modernen Sozialwohnungen an die kinderreichen Migrantenfamilien aus Asien gehen. Als seine Tochter auch noch weiter in den Drogensumpf zu geraten droht, lässt sich Ray wieder auf eine rechtsradikale Partei ein, der er zehn Jahre zuvor eigentlich den Rücken gekehrt hatte... Regisseur Tony Smith inszeniert seine Geschichte vom Scheitern eines Menschen vor einem so realen wie bedrückenden Alltag aus sozialer Armut, flüchtigen Hoffnungsschimmern und Rassenhass.
Auf ganz andere Weise brutal und doch real widmet sich die BBC-Production „State of Play“ dem anderen Ende des gesellschaftlichen Spektrums: Stephen Collins (David Morrissey) ist Parlamentsabgeordneter auf der Überholspur. In ein bis zwei Jahren sieht ihn jeder im Kabinett. Bis eines Tages seine Mitarbeiterin Sonia von der Londoner U-Bahn überrollt wird. War es Selbstmord? Hatten die beiden eine Affäre? Collins sucht Trost und Rat bei seinem alten Freund Cal McCaffrey (John Simm). Doch der ist mittlerweile investigativer Top-Journalist einer Zeitung, die nur zu gerne Licht ins Dunkel der Politintrigen bringt...
Alle Filme laufen im Komed, KölnInfos: www.cologne-conference.de