: Euro-Pessimismus ist nicht angesagt
Der US-Dollar hat der europäischen Einheitswährung nichts voraus, meinen Experten. Deshalb bleibe der Euro stark
HAMBURG taz ■ So schnell kann sich das Blatt an den Finanzmärkten wenden: Innerhalb von nur sechs Monaten gewann der Euro im Vergleich zum US-Dollar 20 Prozent an Wert und kletterte bis Mitte Juni auf knapp 1,20 Dollar. Der Höhenflug schien Experten unaufhaltbar. Nun hat sich Europas Einheitswährung bei 1,12 Dollar eingependelt. Und der Chefstratege der deutschen Tochter der Fondsgesellschaft Invesco prognostiziert schon, er werde „in einem Jahr nur noch 1,05 Dollar wert sein“. Wie Krämer denken jetzt wieder viele.
Als Auslöser dieses neuen Europessimismus wird Alan Greenspan genannt. Der US-Notenbank-Chef hat der US-Wirtschaft letzte Woche für 2004 ein Wachstum von bis zu 4,75 Prozent vorausgesagt. Das liegt über den Prognosen der Banken. Mehr US-Wachstum heißt mehr Kapitalströme in die USA, heißt Aufwertung des US-Dollars, argumentieren nun die Euro-Defätisten. Nach Ansicht von Alex Patelis, Währungsstratege bei Merrill Lynch, ist das aber zu simpel gedacht. „Dieses Denkmuster ist ein Relikt des Aktienbooms Ende der 90er, als alle auf die steigenden Gewinne der Aktienunternehmen sahen“, sagt er. Tatsächlich verhalte es sich umgekehrt.
Patelis hat die Entwicklung der Währungen der G-10-Staaten in den vergangenen 10 Jahren untersucht: 2001, als die US-Wirtschaft am lahmsten war, konnte keine G-10-Währung dem Dollar das Wasser reichen. 1999, als Japans Wirtschaft das geringste Wachstum vorwies, war der Yen das stärkste Zahlungsmittel. 1995 hatte die Schweiz das stärkste Zahlungsmittel – und die schwächste Konjunktur. Ausrutscher? Offenbar nicht: „Japan und die Schweiz belegen beim G-10-Ranking der stärksten Währungen von 1992 bis 2002 Platz 2 und 2“, so Patelis. „In der Tabelle des kräftigsten Wachstums liegen sie jedoch auf den untersten Rängen 9 und 10.“
„Statt aufs Wirtschaftswachstum zu schielen, sollte man die Währung wieder nach alter Manier beurteilen“, sagt Yianos Kontopoulos, Leiter des globalen Währungsteams bei Merrill Lynch. Und das heißt: anhand von Wettbewerbsfähigkeit, Produktionstrends oder demografischen Faktoren. „Populationen, die sehr jung oder überaltert sind, sparen weniger“, soKontopoulos. „Sie sind abhängiger von ausländischen Kapitalzuflüssen.“
Kontopoulos hält aber auch Greenspans US-Konjunktur-Ausblick für übertrieben optimistisch. Der werde durch nichts gestützt – „weder durch die Fusionstätigkeit noch durch die Ausgaben für Kapital“. Umfragen unter US-Managern deuteten auch nicht auf mehr Investitionsabsichten hin. Risiken wie steigende Energiepreise habe Greenspan nur am Rande erwähnt.
Kontopoulos zieht den Schluss: Nach einem Zwischenhoch könnte der Dollar eine Bruchlandung hinlegen. Ganz ähnlich denkt Mark Austin, Währungsexperte bei HSBC in London, der auf die Defizite von Leistungbilanz und US-Haushalt verweist: „Um den Export wieder anzukurbeln, ist ein schwacher Dollar von Vorteil.“ Austins 12-Monats-Prognose für den Euro: 1,20 Dollar. Und für Ende 2004: 1,30 Dollar. TORSTEN ENGELBRECHT