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Archiv-Artikel

Keine Qual der Wahl

Vor dem entscheidenden Spiel gegen Tschechien mehrt sich die Kritik an Taktik und Auswechselpraxis der deutschen Mannschaft. Dabei wird übersehen, dass Rudi Völler und Michael Skibbe kaum echte Alternativen zu ihrer Stammelf haben

VON FRANK KETTERER

Sonntagvormittag war es, dass der alleroberste Boss vorbeischaute im Training der deutschen Nationalrumpler. Gerhard Mayer-Vorfelder schnappte sich ein Stühlchen, setzte sich in die Sonne am Übungswiesenrand und schaute sich das Geschehen auf dem Rasen an. Später fasste der DFB-Präsident seine Beobachtungen so zusammen: „Ich bin zwar nicht der Trainer, aber der Schweinsteiger hat mir gut gefallen. Ich könnte mir vorstellen, den auch mal von Anfang an zu bringen.“ Noch später, bei der täglichen Fragestunde, konfrontierte wiederum ein Journalist Rudi Völler mit dem Präsidentensatz. Völler nahm den Einlass zur Kenntnis – und leitete sofort den Konter ein: „Der erste Satz ist absolut richtig. Was hat er gesagt?“ Und dabei lächelte Rudi Völler sein Rudi-Völler-Lächeln.

Es ist dann sogar richtig gelacht worden im großen Saal der Pressekonferenz, obwohl die Lage der deutschen Fußball-Nationalmannschaft nach dem torlosen Remis gegen Lettland alles andere ist als lustig. Und so mühelos leicht wie das bisweilen ohnehin Trollinger-gesteuerte Geschwätz seines Präsidenten wird Bundesrudi die Attacken, die nun gegen ihn und die Seinen geritten werden, nicht immer wegwischen können. Immerhin war das Spiel gegen die Letten laut mittlerweile allgemein gültiger Sprachregelung eher jämmerlicher Art, womit sich die große Fehlerfahndung automatisch in Gang gesetzt hat. Denn hatte Völler nicht schon in der durchaus passablen Eröffnungspartie gegen die Holländer den möglichen Sieg dadurch vergeigt, dass er Torsten Frings durch Fabian Ernst ersetzt hatte, der, kaum auf dem Rasen, prompt den zum Ausgleich führenden Fehler beging? Und warum schenkte der Teamchef gegen die Letten dem jungen Kölner Lukas Podolski nicht seinen ersten EM-Einsatz, wo er doch weiß, dass Miroslav Klose in tiefstem Formtief schlummert und Fredi Bobic ohnehin nicht trifft? Fragen wie diese wird es, sollte die finale Gruppenpartie gegen die Tschechen am Mittwoch (20.45 Uhr) verlustig gehen und Deutschland nach der Vorrunde tatsächlich nach Hause reisen müssen, noch vermehrt geben. Und ziemlich fest dürfte dann auch stehen, dass die bösen Jungs von der Presse, vornehmlich jene vom Boulevard, nicht länger nur den Ersatz-Völler ins Visier nehmen, also Michael Skibbe, sondern auch den echten Rudi.

Bislang trauen sie sich das noch nicht so richtig; bislang musste der bisweilen farblos wirkende Skibbe für all die deutschen Fußballsünden bei dieser EM herhalten, erst gestern wurde er von Bild deswegen als Völlers „Fehlerflüsterer“ apostrophiert. Was ziemlich dumm ist, weil a) Völler und Skibbe von jeher die Nationalmannschaftsdinge gemeinsam managen; und b) grobe Fehler bei dieser EM ohnehin noch nicht begangen wurden. Dass Fabian Ernst nach seiner Einwechslung gegen die Holländer das 1:1 verschuldete, mag unglücklich sein, mehr aber ist es nicht. Dass die DFB-Kicker quasi ohne Stürmer zur EM gereist sind, war längst vor dem Turnier bekannt. Und dass Schweinsteiger keineswegs der Erlöser des deutschen Spiels ist, hat er im zweiten Durchgang gegen die Letten nachdrücklich gezeigt – viel zu nervös agierte er da.

Es sind also wirklich nicht die großen Alternativen, aus denen Völler und Skibbe wählen können; und weil beide gegen die Tschechen ein ähnliches Spiel erwarten wie gegen die Holländer, also ein offensiv ausgerichtetes, wird auch eine ziemlich ähnliche Mannschaft auflaufen, zumal Jens Nowotny wieder einsatzfähig ist und in die Viererkette zurückkehrt. Der Rest soll bis auf weiteres geheim bleiben. Oder wie es Fehlerflüsterer Skibbe gestern gesagt hat: „Ein Rätsel!“