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Archiv-Artikel

Je länger man sich formt

Authentizität und Konstruktion: Mit der Ausstellung „Identität schreiben. Autobiographie in der Kunst“ forscht die Galerie für Zeitgenössische Kunst in Leipzig nach der Künstlervita im Kunstobjekt

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Das biografische Muster breitet sich aus. Immer häufiger streuen Performer auf der Bühne biografische Schnipsel aus, als gelte es, die Verbindung der stilisierten Kunstformen mit dem ungeordneten Fluss des Lebens zu beweisen. Private Wohnungen werden zum Spielort und zum Material. Auch in der Literatur und im Film scheint das Vergnügen an der Rekonstruktion vergangenen Lebens und den Möglichkeiten, Fakt und Fiktion in verschlungenen Mustern zu verknüpfen, zu wachsen. Selbst in der Philosophie kommt der Rolle der autobiografischen Beglaubigung neue Bedeutung zu. Vor diesem Horizont verspricht die Ausstellung „Identität schreiben. Autobiographie in der Kunst“ in der Galerie für Zeitgenössische Kunst in Leipzig spannendes Material zu liefern: Dort wird das biografische Muster in ästhetischen Inszenierungen zwei bis drei Jahrzehnte zurückverfolgt.

Prominent besetzt ist die Künstlerliste mit Namen wie Christian Boltanski, Rosemarie Trockel, Gerhard Richter, Sophie Calle, Cindy Sherman und Ilja Kabakov. Doch das ist ein wenig Blendwerk, denn oft sind von den internationalen Stars in der Ausstellung nur Kataloge, Plakate und minimale Werkausschnitte zu sehen. Den Besuch lohnend machen die vielen Geschichten nicht ganz so bekannter Künstler, die Authentizität und Konstruktion mit großer Spielfreude und Durchsichtigkeit aufeinanderstoßen lassen.

An Paul Austers letzten Roman „Das Buch der Illusionen“, in dem der Erzähler sein eigenes Leben in der verschütteten Biografie eines Stummfilmers spiegelt, erinnert eine Arbeit der amerikanischen Künstlerin Eleanor Antin von 1987. In „From the archives of modern art“ stellt sie sich als die schwarze Ballerina Eleanora Antinova vor, die einmal zur russischen Diaghilev-Truppe gehörte, nach Amerika zurückkehrte, in Vergessenheit geriet und von der heute aus versprengten, schwer zugänglichen Filmausschnitten erstmals wieder ein Bild entsteht. 25 Minuten lang kann man diese flackernden Ausschnitte sehen, die sich teils parodierend, teils verklärend um die Tanzmoderne ranken. Das Fragmentarische und das Widersprüchliche gehören dabei unbedingt dazu: Es ist die Lust am Mythos und an der heroischen Verklärung der Moderne, die solche Erzählungen hervorbringt. Denn leider, ach, ist es im Skeptizismus der Gegenwart nicht mehr angebracht, als Künstler eine solche Heldenrolle einzunehmen. Der Rückgriff auf die Vergangenheit scheint als Entschädigung für die Zurückhaltung im Jetzt zu dienen.

Ausnahmen von dieser Zurückhaltung findet man vor allem bei Männern: zum Beispiel bei Jeff Koons, der sich in einer Anzeigenserie in Kunstzeitschriften von 1988 präsentiert. Die Verwandlung seines Selbst in ein Kunstprodukt ist mühelos gelungen. Es ist unmöglich zu entscheiden, ob die Anzeigen noch auf etwas anderes als ihn selbst verweisen. Etwas mehr schweißtreibende Mühe hat der bulgarische Künstler Rassim, um den eigenen Körper in ein Label zu verwandeln: Stundenlang lässt er sich beim Bodybuilding beobachten. Damit hintertreibt er bewusst die Absichten der Selbstrepräsentation. Denn je länger er sich formt, umso langweiliger wird es.

So wird das autobiografische Muster in dieser Ausstellung fast immer von den besonderen Anforderungen des Künstlerlebens gekreuzt; oft aber mit der Volte, den Status des Besonderen zugunsten einer größeren Nähe zum Gewöhnlichen aufzugeben. Die Malerin Johanna Kandl erzählt in einem mit großen Bleistiftbuchstaben geschriebenen Text vom ökonomischen Niedergang des Farbengeschäfts ihrer Eltern und dem Aufstieg der Baumärkte. Ihre Sammler heute, mit denen sie sich zum Beleg fotografiert hat, sind Besitzer eines Baumarktes und somit auf der Seite der ökonomischen Gewinner. Gemalt dagegen hat sie das Logo einer eingegangenen Lackfirma. Text und Bild verbinden sich zu einer Geschichte, in der sich die Bewegungen des Abstiegs und des Aufstiegs untrennbar verbinden.

Eine andere schöne Legende stammt von Antje Schiffers, die ihren Beruf als reisende Wandmalerin gegen Kost und Logis ausübt. Mit Fotografien ihrer Gast- und Auftraggeber, Geschenken und Reisebeschreibungen dokumentiert sie ihre Fahrten durch Kasachstan, Usbekistan und Russland. Kunst und Malerei werden in dieser Geschichte zu einem Medium des direkten Austauschs, der Stiftung von neuen Beziehungen von Mensch zu Mensch. Das ist eine liebevolle Utopie und eine anrührende Reaktion auf die Verwandlung des Künstlers in eine Größe auf dem Markt. Wütender geht Tracy Emin dieses Problem an. Blut oder Sperma müssen fließen, wo sie die ständigen Transformationen zwischen ihrem Leben und ihrer Kunst verhandelt. Sie und ihr Publikum verbindet ein vielfältig emotional belastetes und medial manipuliertes Netz von Beziehungen, in dem man den Überblick verliert, wer welche Klischees hervorbringt und erfüllt.

Dieser Exhibitionismus hat das Biografische in der Kunst in Verruf gebracht. Jenseits vom Skandalösen sucht Wiebke Loeper einen Weg, die Arbeit an der eigenen Identität zu thematisieren. Ihre Dias bilden zwei parallele Bildstrecken: Die eine Serie zeigt Bilder aus dem Familienalbum, vom Leben in einem Ostberliner Plattenbau. Die zweite Serie lässt diese Räume als Ruine wieder sehen. So erzählt die Arbeit zugleich die Geschichte des Hauses, das im Jahr von Wiebke Loeper Geburt neu bezogen wurde und mit ihrer Volljährigkeit zum Abbruchhaus wurde. In der Wendung in sozialhistorische Melancholie geht sie über das Biografische hinaus.

Dem Konzept der Ausstellung fehlte es nicht an Ideen, das Autobiografische im Kontext der veränderten Identitätspolitiken in der Zeit der Globalisierung zu untersuchen – allein die künstlerischen Beiträge dazu sind zu kryptisch ausgefallen. Von vielen Künstlern wie Adrian Piper, Shirana Shahbazi und anderen müsste man mehr sehen, um sich in die Gedanken einzufädeln. So bleibt die Anschauung auf halber Strecke stehen.

Bis 24. August, Galerie für Zeitgenössische Kunst, Leipzig