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Archiv-Artikel

„Bei Schießereien ist alles schon gezeigt“

Takeshi Kitano hat sich die Haare blondiert, um in „Zatoichi“, seinem ersten Schwertkampffilm, die Hauptrolle zu spielen. Ein Gespräch mit dem japanischen Regisseur über historische Filme und Fußballspiele, „Kill Bill“ und Tom Cruise und über Kämpfe, die mit einem Hieb entschieden werden

INTERVIEW VOLKER HUMMEL

taz: Herr Kitano, „Zatoichi“ ist Ihre erste Auftragsarbeit seit Ihrem Debüt „Violent Cop“ (1989). Wie kam es zu dem Projekt, und was hat Sie bewogen, einen Film über einen der berühmtesten Helden der japanischen Filmgeschichte zu drehen?

Takeshi Kitano: Die Entstehung dieser Auftragsarbeiten unterscheidet sich im Grunde nicht von der meiner anderen Filme. „Violent Cop“ sollte ursprünglich von Kinji Fukasaku inszeniert werden, nachdem er ausgestiegen war, habe ich das Drehbuch komplett umgeschrieben, es hatte nichts mehr mit dem ersten Skript zu tun. Das war bei „Zatoichi“ ähnlich. Das Projekt wurde vor ein paar Jahren von Madame Chieko Saito an mich herangetragen, einer der einflussreichsten Persönlichkeiten in der japanischen Film- und Unterhaltungsbranche. Sie wollte, dass ich ein Sequel mache, zu Ehren ihres 1997 verstorbenen Freundes Shintaro Katsu, des Hauptdarstellers der früheren „Zatoichi“-Filme (von 1962 bis 1989).

Sagten Sie sofort zu?

Die Idee, etwas wiederzubeleben, was andere Leute schon gemacht hatten, widerstrebte mir anfangs sehr. Nach einigem Überlegen nahm ich das Projekt unter einer Bedingung an: Zatoichi sollte meine Figur werden, ganz anders als die alte. Madame Saito erklärte sich damit einverstanden, wenn ich nur ein period drama daraus machte, dessen Held ein blinder Masseur mit außergewöhnlicher Begabung zum Schwertkampf ist. Alles andere war meine eigene Schöpfung. Ich konnte mein eigenes Drehbuch schreiben, obwohl der Spielraum bei einem „Zatoichi“-Skript klein ist.

Welche Freiheiten haben Sie sich denn bei der Gestaltung des Stoffes herausgenommen?

Im Kino wird natürlich alles erfunden und künstlich erschaffen. Wenn man einen Film dreht, der in der jüngeren Vergangenheit oder der Gegenwart spielt, muss man jedoch sehr präzise in der Gestaltung sein. Wenn die Geschichte zum Beispiel in den 1970er- oder 1980er-Jahren spielt, dann müssen die Ausstattung, die Sets, die Dialoge und Kostüme viel detaillierter sein, weil viele Zuschauer in dieser Zeit gelebt haben. Die registrieren jeden kleinen Fehler und sagen: „So war das aber gar nicht, dieses Gebäude stand ganz woanders.“

Und mit einem historischen Filmen hat man dieses Problem nicht?

Die Leute können noch so viel über das 18. Jahrhundert in Japan gelesen haben, wirklich dabei war keiner von ihnen. Deshalb kann man mehr Unsinn treiben und sich bei Kostümen und Frisuren mehr Freiheiten herausnehmen. Wenn man „Zatoichi“ von einem sehr strengen Standpunkt aus betrachtet, dann ist es vollkommen unmöglich, dass in der Edo-Zeit die Bauern Stepptänze aufführten oder blondierte Frisuren hatten. Schon die Grundvoraussetzung des Films ist Bullshit: ein blinder Masseur, der ein Meister des Schwertes ist? Er könnte niemals so stark sein.

Sprechen die Figuren modernes Japanisch?

Ja, im 18. Jahrhundert sprach niemand so. Viele der Details sind also freie Erfindungen, und so verhält es sich mit vielen historischen Filmen. Auf der anderen Seite gibt es grundlegende Restriktionen: Alle Schauspieler müssen permanent Kimonos und Frisuren tragen, die so aussehen, als ob sie ins 18. Jahrhundert gehören. Für mich ist das Drehen eines historischen Films einem Fußballspiel vergleichbar: Da gibt es diese extrem einschränkende Grundregel, dass man seine Hände nicht benutzen darf. Aber ansonsten darf man alles machen, oder? Man kann den Kopf nehmen, die Schultern, alles außer den Händen.

Eine interessante Auffassung von Fußball! Sehen Sie „Zatoichi“ als einen Bruch in Ihrem bisherigen Schaffen?

Ich habe schon lange Zeit vor „Zatoichi“ in einer Reihe von Samurai-Filmen und period dramas mitgespielt. 1999 habe ich in Nagisa Oshimas „Gohatto“ (“„Taboo“) einen Samurai dargestellt. Deshalb ist mir das Genre näher, als es den Anschein haben mag.

Der Schwertkampffilm erlebt zurzeit auch in Hollywood eine Renaissance. Gefällt Ihnen Tom Cruise in Samurairüstung?

Ob mir Tom Cruise gefällt? – Nicht sehr. Ich habe „The Last Samurai“ nicht gesehen, ich kann mir also nicht wirklich ein Urteil bilden, aber nach allem, was ich gehört habe, macht er mir einen allzu ernsthaften Eindruck. All dies Geraune über die wahre Mentalität der japanischen Samurai und der Versuch der Filmemacher, das feudale Japan historisch korrekt darzustellen, die Detailtreue in den Kostümen und Requisiten – all das interessiert mich nicht. In Tarantinos „Kill Bill“ habe ich mich hingegen prächtig amüsiert, weil er sich einen Dreck darum schert, ein treues Abbild Japans zu entwerfen. Er nimmt sich die Elemente, die er cool findet, und macht sein eigenes Ding draus.

Wie erklären Sie sich die Welle von Schwertkampffilmen?

Vielleicht liegt es daran, dass viele Regisseure entdeckt haben, dass es bei der Inszenierung von Schwertkampfsequenzen noch einiges auszuprobieren gibt. Bei Schusswechseln ist ja eigentlich alles schon mal gezeigt worden, obwohl die inszenatorische Bandbreite durch die größere Distanz der Kontrahenten um einiges größer ist. Doch was die Bewegungsabläufe der Körper betrifft, tut sich beim Schwert ein viel größeres Spektrum auf. Da ist Raum für Experimente.

Wie haben Sie die Kampfsequenzen in „Zatoichi“ entwickelt?

Ich hatte einen Schwertkampf-Choreografen und einen Trainer am Set, aber die Choreografie für die meisten Kampfszenen habe ich letztlich selbst erfunden. Ich hatte eine sehr klare Vorstellung, wie sie aussehen sollten. In den Kung-Fu-Filmen aus Hongkong und einem Großteil der Chanbara-Filme aus Japan ziehen sich die Kämpfe endlos hin, die Kontrahenten bewegen sich unaufhörlich, es geht vor und zurück, jeder Kampf muss den vorhergehenden überbieten. Das hätte mir in meinem eigenen Film nicht gefallen. Bei mir sollten die Kämpfe mit nur einem Streich entschieden werden. So wie es in der Kampftechnik Iaido üblich ist, wo man sein Schwert mit einem Stoß in genau die richtige Stellung bringt.