: „Am Trainer lag es nicht“
taz-Interview mit Peter Neururer über Rudi Völler, das frühe EM-Aus, den Zustand des deutschen Fußballs, den Einsatz junger Spieler und die Perspektiven bei der WM 2006 im eigenen Land
INTERVIEW FRANK KETTERER
taz: Herr Neururer, hatten Sie mit dem Vorrunden-Aus der DFB-Elf gerechnet?
Peter Neururer: Man musste das in seine Überlegungen einbeziehen, schon weil man nicht unbedingt davon ausgehen konnte, dass wir gegen Tschechien und gegen Holland erfolgreich sind. Lettland hat man mit unseren Ansprüchen eigentlich zu schlagen, das haben wir nicht gemacht. Vielmehr haben die Letten brutal unsere Schwächen aufgezeigt.
Die da wären?
Wir haben keine Stürmer. Wir haben keinen Sturm. Da können wir noch so gut spielen, ein Ballack alleine reicht nicht.
Was lässt sich aus dem Vorrunden-Aus für den Zustand des deutschen Fußballs ableiten?
Der Zustand ist so gut, dass wir gegen jede Mannschaft der Welt mithalten können. Allerdings benötigen wir, um dann auch erfolgreich zu sein, Stürmer mit Durchschlagskraft. Daran fehlt’s.
Dennoch scheint die Situation eine ganz andere als vor vier Jahren, als die deutsche Mannschaft unter Erich Ribbeck ebenfalls in der Vorrunde ausschied. Was hat sich verändert?
Die Jungs spielen Fußball. Und es steht eine Mannschaft auf dem Platz, die gemeinschaftlich etwas versucht. Da ist eine Symbiose erkennbar. Bei der letzten EM war das nicht der Fall.
Ein Bundestrainer kann nur auf jenes Material zurückgreifen, das die Bundesligavereine ihm liefern. Ist die Schwäche der Bundesliga die Wurzel des Nationalmannschaftsübels?
Nein. Die Bundesliga ist immer noch eine der stärksten Ligen der Welt.
Warum hat es dann diese Saison kein deutscher Verein auch nur in die Nähe eines Europapokal-Halbfinals geschafft?
Gegenfrage: Warum ist es noch gar nicht so lange her, dass Bayern München die Champions League gewonnen hat? War das das Spiegelbild der Bundesliga oder des deutschen Fußballs? Nein. Es war das Spiegelbild der Leistungsstärke einer einzelnen Mannschaft, nämlich der von Bayern. Die Bundesliga hat zweifelsfrei hohe Qualität, aber das hat nichts mit der Entwicklung des deutschen Fußballs zu tun.
Sondern?
Wir sollten mal in den Nachwuchsbereich schauen, wie da geschult wird. Und wir sollten in die U21 schauen, was da so passiert. Die müssen zuliefern.
Können die das?
Fest steht: Wir haben Talente genug. Und ich bin mir sicher, dass wir irgendwann irgendwo auch wieder mal einen Titel gewinnen oder um ihn mitspielen. Bei der EM ist das eben nicht der Fall gewesen – und das ist schlimm genug. Aber wir dürfen uns jetzt nicht hinstellen und sagen: Das ist jetzt der Zusammenbruch. Das ist überhaupt nicht der Fall. Wir haben schließlich Fußball gespielt. Das war doch okay.
Auffällig ist aber auch, dass kaum ein deutscher Spieler noch bei einem ausländischen Top-Klub spielt. Ist deutsche Kicker-Kunst nicht mehr gefragt? Existiert sie überhaupt noch?
Erstens existiert sie noch. Zweitens ist sie nach wie vor gefragt. Drittens ist eine Komponente hinzugekommen, die mittlerweile an Nummer eins gestellt werden kann: In der Bundesliga werden ähnliche Gehälter bezahlt wie im Ausland, mit dem Unterschied, dass ich in Deutschland auch weiß, dass ich mein Geld pünktlich überwiesen bekomme. Von daher ist es für einige Spieler, die durchaus die Möglichkeit hätten, ins Ausland zu wechseln, attraktiver, in der Bundesliga zu spielen.
Ist in den Bundesligavereinen angekommen, dass es ohne intensive Nachwuchsförderung nicht geht?
Natürlich ist das angekommen. Die Vereine wissen, dass sie sich um den Nachwuchs kümmern müssen, aber man darf nicht hingehen und irgendwelche Spieler spielen lassen, nur weil sie jung sind. Das ist populistisch. Die Berechtigung zu spielen kann nur über Qualität und Leistung kommen – niemals über das Alter.
Deshalb hat auch Rudi Völler angedeutet, dass beispielsweise Schweinsteiger oder Podolski noch nicht so weit sind, um dauerhaft auf höchstem internationalem Niveau mithalten zu können.
Und er hat damit auch absolut Recht. Podolski ist noch nicht so weit, Schweinsteiger ist noch nicht so weit, und auch ein Kevin Kuranyi ist noch nicht so weit.
Wird das noch was bis zur WM 2006?
Davon bin ich 100-prozentig überzeugt. Die Grundlagen sind doch alle da. Also vor der WM ist mir wirklich nicht bange.
Diese findet ohne Rudi Völler statt. Welche Fehler hat er gemacht?
Gar keine. Das Aus mag an vielen Dingen liegen, an der Trainerqualität lag es mit Sicherheit nicht. Ich weiß im Augenblick jedenfalls keinen besseren.