: Kampf durch die Instanzen
Wegen Äußerungen im gewerkschaftsinternen Computernetz darf nicht gekündigt werden. Das wurde jetzt im Fall eines Flensburger Vertrauensmannes entschieden
Hamburg/Erfurt taz ■ Wer gewerkschaftsintern seine Meinung über umstrittene Betriebspraktiken seines Arbeitgebers äußert und dabei Kritik am eigenen Betriebsrat übt, darf deshalb nicht entlassen werden – selbst wenn er aus den eigenen Reihen an die Geschäftsführung verpetzt wird. Das hat der 2. Senat des Erfurter Bundesarbeitsgerichts (BAG) im Fall des Flensburger IG-Metall-Vertrauensmannes Peter Jacobsen entschieden.
Damit hob das BAG ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Kiel (LAG) auf, das gegen das im Grundgesetz (GG) verbriefte Recht auf freie Meinungsäußerung verstoßen habe. „Mit der überragenden Bedeutung dieses Grundrechts wäre es unvereinbar, wenn Art. 5 Abs. 1 GG in der betrieblichen Arbeitswelt, die für die Lebensgrundlage zahlreicher Staatsbürger wesentlich bestimmend ist, nicht oder nur eingeschränkt anwendbar wäre“, so die Begründung des BAG.
Für Jacobsen ist das Urteil „ein toller Teilerfolg“. Auch für seinen Anwalt Klaus Bertelsmann spricht der Richterspruch „eine deutliche Sprache, um dieser unhaltbaren Argumentation des Kieler Gerichts gegen Meinungsfreiheit und Koalitionsrecht zu begegnen“.
Was war geschehen? Beim Flensburger Aggregatebauer Danfoss tobte im Jahr 2000 intern ein heftiger Konflikt um ein neues Schichtmodell, weil angeblich der Krankenstand bei den türkischen Mitarbeitern sehr hoch gewesen und dies mit der „Landeskultur“ begründet worden sei. Wenn dieses neue Schichtmodell von den IG Metallern blockiert werde, sagten damals die Danfoss-Betriebsräte, drohten Arbeitsplätze verloren zu gehen.
Als Vertrauensmann Jacobsen auf dem Firmenparkplatz die Scheinwerfer seines Pkw demoliert wurden, äußerte er sich im Intranet der IG Metall Küste. Zugang zu diesem passwortgeschützten Bereich hatten da gerade mal 800 Gewerkschafter in Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern. Jacobsen schrieb: „Leider war da schon der braune Mob aktiviert und sie wagten sich, gestärkt durch einen leitenden Angestellten, aus ihren Verstecken.“
Diese elektronische Depesche landete prompt auf dem Tisch der Danfoss-Geschäftsführung und wurde später zudem noch von unbekannter Seite an den Schwarzen Brettern des Betriebes ausgehängt.
Auf Jacobsen hagelte geradezu eine Kündigungswelle nieder, weil er sich „betriebsschädigend“ verhalten haben soll. Nachdem das Flensburger Arbeitsgericht diese Begehren mehrfach verworfen hatte, hob das LAG Kiel die Flensburger Urteile auf. Überdies ließen die Kieler Richter keine Revision vor dem BAG zu. Bewegung ins fest gefahrene Prozedere kam erst, als der inzwischen vom IG-Metall-Bezirk Küste beauftragte Arbeitsrechtsexperte Klaus Bertelsmann eine Zulassungsklage beim BAG – sowie Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht – einlegte.
Das Erfurter BAG akzeptierte die Klage und kam nun zu einem Beschluss. „Weder nach Form noch nach Inhalt“ verletze Jacobsens E-Mail „strafrechtliche Regelungen oder die persönliche Ehre der Beklagten, ihres leitenden Angestellten oder der Beschäftigten und Mitglieder des Betriebsrats“, befanden die Richter.
„Der Kläger wollte diese Personen jedenfalls in ihrer persönlichen Ehre nicht angreifen. Dies ergibt sich schon daraus, dass die Äußerungen nicht vom Kläger in die Betriebsöffentlichkeit gebracht worden sind. In einem solchen Fall muss der Freiheit der Meinungsäußerung der Vorrang gebühren.“