: berliner szenen Kardonnerstag
Das Spiel ist aus
Die Straßen sind gähnend leer. Nur ab und zu sieht man eine Ratte nervös hustend über den verlassenen Asphalt huschen und eilig in der Kanalisation verschwinden: Fernsehen fängt an. Es ist Donnerstag, unsinniger Donnerstag, ich hasse Donnerstag, an einem Donnerstag bin ich geboren. Dazu noch Ferienbeginn und Europameisterschaft. Das ist noch vor Karfreitag, Grüner Woche und 11. September Kutschers Tod, Kutschers absoluter Tod. Fußball kann so schön sein, aber auch so grausam. In vier Stunden zwei Fahrgäste, und dabei hat das Spiel gerade erst angefangen. Hool-Land führt früh mit 1:0 und ich mache Pause: „Scheißfußball“, stöhnt auch der Sandwichmann. Ich bin seit drei Stunden sein einziger Kunde und lasse ihm sieben Euro. Damit dürfte ich wieder knapp unter Par sein, doch wer schlecht arbeitet, soll wenigstens gut essen.
Am Taxistand habe ich viel Ruhe. Bis zum nächsten Gast sind es fast weitere zwei Stunden, und so kann ich sehr gründlich kauen. Das ist gut, das ist gesund, das hält auch länger vor. Wer weiß, wann die nächste warme Mahlzeit kommt und wovon ich die bezahlen soll. Mein Passagier spricht von Verlängerung, und ich bedanke mich: Zu Hause wartet der Videorekorder – die reguläre Spielzeit kann ich mir nun schon mal sparen. Nach dem Spiel sind überall Menschen auf den Straßen. Fußgänger. Und sie bleiben auch Fußgänger – das ist gut, das ist gesund für sie. Abbruch, Feierabend. 5 Touren in über sieben Stunden. Nach dem Sandwich bleiben mir noch 15,50 Euro. Brutto. Zum Leben zu wenig und zum Sterben auch – für das Geld nimmt einen doch nicht mal die Kadaverentsorgungsstelle. Liebe Kinder, denkt also ruhig auch mal an die Volkswirtschaft: Ferien können so grausam sein.
ULI HANNEMANN