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Archiv-Artikel

Referenzmethoden

Zu Besuch bei einem BSE-Test-Experten

von GABRIELE GOETTLE

Markus Moser, Dr. phil., geschäftsführender Leiter der Prionics AG Zürich u. Mitglied d. Verwaltungsrates (zus. m. Dr. B. Oesch). Aufgewachsen i. Lausanne, 1968 Umzug n. Herrliberg, Kanton Zürich. 1970–71 Primarschule i. Herrliberg. 1971–76 Primarschule i. Stäfa. 1976–82 Gymnasium i. Zürich, 1982 Matura. 1983 Militärdienst/Rekrutenschule. 1983–86 Studium d. Biologie a. d. Universität Zürich. 1986–87 Collegekurse, Molekularbiologie, Columbia-Universität, New York (dort lernte er seine spätere Gattin, Frau Dr. Earlese Bruno kennen, d. a. Teachers College „International Education“ studierte). 1987–90 Studium d. Molekularbiologie, Biochemie u. Immunologie a. d. Univ. Zürich. Diplomarbeit z. Thema d. Erforschung natürlicher genetischer Rekombinationsmechanismen, so gen. „mobiler genetischer Elemente“, a. Institut f. Molekularbiolgoie a. d. Univ. Zürich. 1991–95 Dissertation daselbst a. Hirnforschungsinstitut auf d. Gebiet d. Prionenforschung, i .d. Arbeitsgruppe v. Dr. B. Oesch, unt. d. Leitung v. Prof. Dr. Charles Weissmann (Inst. f. Molekularbiologie d. Univ. Zürich). Titel: „Transcription at the Genetic Locus of the Prion Protein Gene-Implications for Transmissible Spongiform Encephalophaties“. 9. Nov. 1995 Verleihung d. Doktors d. Philosophie durch d. Univ. Zürich. 1996–97 Forschungstätigkeit daselbst und an d. Univ. Oxford. Anfang 1996 Bewilligung der v. Dr. Bruno Oesch (a. d. Univ. Zürich) beantragten Forschungsmittel z. Entwicklung e. BSE-Tests durch d. Schweizerischen Nationalfonds. Bereits Ende 1996 hatte die kleine Forschungsgruppe, besteh. aus: Dr. Bruno Oesch, Dr. Markus Moser u. Dr. Carsten Korth, den Prototyp d. weltweit ersten BSE-Routinetests entwickelt. 1997 Gründung d. Prionics AG als Spin-off-Firma a. d. Univ. Zürich, zus. m. B. Oesch u. Carsten Korth. Zusatzausbildungen Qualitätsmanagement. Zahlr. Publikationen i. intern. Fachzeitschriften, u. a. in: Nature, 1993 Mar 18, „An Anti-Prion Protein?“ Moser M., Oesch B., Bueler H., u.: Neuron, 1995 Mar, 14 (3), „Developmental Expression of the Prion Protein Gene in Glial Cells“, sowie Buchbeiträge u. Patente. Div. Ehrungen, u. a. 2002 Verleihung d. Swiss Economic Award (Unternehmer d. Jahres) a. M. Moser u. B. Oesch. Markus Moser wurde am 22. August 1963 in Bern geboren, ist verheiratet und hat einen 1992 geborenen Sohn. Der Vater ist Spezialarzt f. Psychiatrie u. Psychotherapie, die Mutter ist Kunstmalerin.

Der Terminkalender des Prionics-Managers Markus Moser ist bis Weihnachten voll. Als ich ein Treffen am Samstag bei ihm zu Hause mit kleinem Firmenbesuch vorschlug, war er wider Erwarten einverstanden. An einem wolkenlosen und heißen Frühsommermorgen des Jahres 2003 fahren wir mit dem Zug am Zürichsee entlang Richtung Pfäffikon. Das klare Wasser schimmert in hellem Türkis. Die Ufer sind erstaunlicherweise so gut wie unverbaut. Überall gibt es Badeanstalten, Parkanlagen, öffentlich zugängliche Badestellen, Bootshäuser – teils überaus altmodisch und bescheiden – am Mythenquai und an der Seestraße, die sich an den Kleinstädtchen und Dörfern entlang hinzieht bis zur Obersee-Seite in Pfäffikon. Nach 45 Minuten stehen wir vor dem gesuchten Haus. Es liegt in einem neueren Villenareal, am Ende einer Straße auf einer kleinen Anhöhe. Es ist einstöckig und hell gelblich verputzt. Neben der Haustür steht ein Feigenbäumchen, das Klima scheint hier mild.

Unser Gastgeber empfängt uns freundlich und führt uns ohne irgend einen prätentiösen Gestus durch sein lichtes, frisch bezogenes Haus. Die Fensterfront geht über zwei Etagen, alles ist hell, eierschalenfarben, die Sofas, der Kamin, die großen Fußbodenkacheln, auf denen ein roter Teppich liegt, zu dem ein rotes asiatisches Holzpferd als einziger Schmuck des Raumes gut passt. Oben zieht sich eine hölzerne Galerie entlang, hinter der die privateren Räume liegen. Die weißen Rauhputzwände sind ohne jedes Bild. Das liegt daran, dass der Putz erst noch durchtrocknen muss, klärt uns der Hausherr auf. Danach werden Bilder aufgehängt, auch von der Mutter, die Malerin ist. Wir nehmen draußen Platz, auf einer überdachten kleinen Terrasse mit Blick auf eine ungemähte Wiese, auf Kirschbäume und eine alte Buchsbaumhecke. Weiter vorn am Ufer hin stehen hohe Erlen. Das Haus ist gekauft, der Grund, so erfahren wir, ist gemietet und gehört, wie in der Schweiz üblich, der Gemeinde. Daher die zugänglichen Seeufer. Unser Gastgeber bringt Gläser und eine Karaffe mit Eiswasser, dann beginnt er zu erzählen:

„Man kann sich das vielleicht am ehesten vereinfacht vorstellen. Eines der vielen Proteine, die natürlicherweise in den Hirnzellen von Menschen und Wirbeltieren vorkommen, ist das so genannte Prionprotein (PrP[C]), also das ‚gesunde‘. Und Protein besteht ja aus Aminosäuren, stellen Sie sich eine Perlenkette vor, die sich so zurechtbaut, dass sie möglichst stabil ist. Dabei findet sie sozusagen die günstigste dreidimensionale Faltung, und das ist es dann. Diese spezifische Faltung ist offensichtlich für eine positive Funktion im Organismus entscheidend. Es gibt diese eine Faltung und keine weiteren. Das ist wichtig. Bei der Srapieform, der krankheitsaffizierten (PrP[Sc]) hingegen, gibt es nicht nur eine, sondern mehrere verschiedene Faltungsmöglichkeiten – man nimmt an, dass es verschiedene Stämme gibt, die sich verschieden benehmen, verschieden lange Inkubationszeiten haben usw. Die beiden Prionproteine, das krankheitsspezifische PrP[Sc]und das normale PrP[C], unterscheiden sich durch ihre unterschiedliche räumliche Struktur. Der heutige Stand der Wissenschaft ist, dass das Srapie-Prionprotein ein Bestandteil des Prions, des Krankheitserregers ist. Oder auch, dass es selbst bereits den ganzen Erreger darstellt. Nach dieser Theorie bewirkt im Infektionsfalle das eindringende PrP[Sc]eine Umwandlung des normalen PrP[C]in PrP[Sc], was zu einer rasanten Kettenreaktion führt, zu einer enormen Zunahme der Infektiosität und zur letztendlichen unwiderruflichen Schädigung des Gehirns. Wie es das macht, das weiß man eigentlich nicht, man stellt sich so eine Art Kristallisationsprozess vor, man kennt das aus anderen Prozessen, dass ein Molekül sich an den Kristall zum Beispiel anlagert, sodass sich das dann auch umfaltet, weil das die energetisch günstigere Form ist … Aber das Ganze ist eben sehr schwierig, jedenfalls hat man diese Theorie am Anfang für völligen Nonsens gehalten.

Beim Krankheitserreger der Prionenerkrankung handelt es sich um eine vollkommen neue Art von Erreger, er ist kein Bakterium, er ist kein Virus. Es ist ein Molekül … sein Verhalten hat nichts mit Leben oder Lebewesen zu tun. Ein Bakterium, das kann einfach leben irgendwo, das hat einen eigenen Metabolismus, und dann haben wir die heute bekannten Viren, die streng genommen, also biologisch gesehen, auch keine Lebewesen sind, denn sie haben keinen Metabolismus. Ein Virus dringt in die Zelle ein, auch in eine Körperzelle, und manipuliert diese Zelle genetisch, bringt sie dazu, neue Viruspartikel zu produzieren bis die Zelle irgendwann kaputtgeht und all die Viren herauskommen … Und jetzt haben wir diese Prionen, die sind noch mal eine Stufe reduzierter. Also ein Virus besteht aus einer Proteinhülle und innen drin sind seine Gene, die Prionen aber haben gar keine Gene mehr. Das war zunächst natürlich total verwirrend, die Biologen haben gesagt, es gibt keine Prionen ganz ohne genetische Information. Physiker und Proteinbiologen haben gesagt, die genetische Information muss ja irgendwo stecken. Sie kann natürlich eventuell … auch im Wirt selbst sein. Das ist aber nur möglich, wenn der Wirt selbst eine Form dieses Proteins bereits in sich hat, dann trägt er ja diese genetische Information und dann muss dieses Protein hier sie gar nicht mehr mit sich herumschleppen. Es kommt einfach in den Organismus hinein, schnappt sich das PrP[C]und wandelt es um … also wie das genau geht, weiß man eigentlich nicht. Das war übrigens die Doktorarbeit vom Bruno Oesch, Prionenprotein zu identifizieren und zu sehen, dass das ein abgewandeltes Protein ist, von einem körpereigenen Protein. Er hat die Arbeit bei Charles Weissmann gemacht, einem Pionier der Molekularbiologie, der sich auch damals der Prionenforschung gewidmet hat. Aus dieser Zeit kannte ich Bruno Oesch schon. Er ist dann nach San Francisco gegangen, zu Stanlay Prusiner, der bekam ja 1997 den Nobelpreis für seine Entdeckung des pathogenen Prionproteins als Auslöser für spongiforme Enzephalopathien … Na ja, und als der Bruno Oesch wieder zurückkam, ans Institut für Hirnforschung, da habe ich dann die kleine Gruppe gewählt, um meine Dissertation zu machen.

So kam das alles, wir haben natürlich unter uns Forschern über BSE diskutiert, haben gesehen, das wird alles unter den Teppich gekehrt, es kann doch nicht sein, dass man das ignoriert in der Öffentlichkeit. Und die Kollegen haben gesagt, ja gut, ihr seid die Prionenforscher, macht mal was! Aber die Veterinärbehörden bei uns waren an der Entwicklung eines Tests vollkommen desinteressiert, von nirgendwo war Geld zu erhoffen, für so ein Projekt. Dass wir dann doch Geld bekommen haben, war der erste Zufall in einer langen Kette von Zufällen. Die Schweiz betreibt international gesehen zwar Spitzenforschung, aber immer so eher im akademischen Elfenbeinturm. Produkte draus machen, Patente anmelden, das findet dann in den USA oder Japan statt. Aber als 1996 die ersten Fälle der Übertragbarkeit auf den Menschen, die neue Creuzfeldt-Jakob-Krankheit durch die Medien ging und ein paar Journalisten das zum Skandal aufmachten, da bekamen wir plötzlich das Geld, das Oesch ein paar Jahre zuvor beantragt hatte. Es war nicht viel, aber wir konnten richtig angewandte Forschung machen für etwa ein Jahr, zwei Personen und das entsprechende Forschungsmaterial. Das waren so um 200.000 Schweizer Franken. Im Frühsommer 1996 haben wir das Geld bekommen und Ende des Jahres hatten wir den Prototyp.

Das eigentlich Schwierige bei der Entwickling des Tests war die Herstellung der Antikörper, denn es gibt ja diese kleine Schwierigkeit, dass ich, Mensch wie Tier, das Protein natürlicherweise im Körper habe und deshalb, aufgrund der natürlichen Toleranz des Organismus gegenüber körpereigenen Bestandteilen, keine Immunreaktion stattfindet. Das heißt, es werden keine Antikörper gebildet. Die brauche ich aber für den Test, denn sie sollen ja das Prionprotein erkennen. Normalerweise macht man das so, man nimmt beispielsweise Mäuse, denen man das einspritzt, und wartet dann darauf, dass sie Antikörper bilden, die nimmt man dann aus dem Tier heraus, nachdem man es getötet hat. Im Prinzip sind es Milzzellen, die das produzieren, und diese Zellen kann man dann in Zellkulturen weiterführen … oder zumindest sollte man es so machen.

Nach dem alten, grausamen Verfahren hat man den Mäusen einen künstlichen Tumor gemacht, um möglichst viele der begehrten Antikörper produziert zu bekommen. Sie bekamen dann Riesenbäuche und wurden ausgequetscht wie eine Zitrone. Also das ist inzwischen in der Schweiz und in Deutschland verboten, aber es gibt natürlich viele Firmen, wenn sie da Antikörper kaufen – auch als Forscher in der Schweiz –, dann kriegen sie Antikörper aus solchen verbotenen Mausproduktionen, die … was weiß ich, in Brasilien oder Osteuropa gemacht werden. Und die sind natürlich billiger. Aber meine Generation von Wissenschaftlern, die versucht in der Regel weitgehend ohne Tierexperiment auszukommen und die Alternative der Zellkultur zu wählen.“ Er trinkt einen Schluck, sucht einen Moment nach dem Anschluss und fährt fort: „Aber um den ersten Schritt kamen wir natürlich nicht herum. Um also bei dem Tier eine immunologische Reaktion zu erzielen, haben wir einer speziellen Maus eine Art Cocktail gespritzt, aus allen möglichen Varianten, allen möglichen auch dreidimensionalen Strukturen, die das Protein annehmen konnte, also von ungefaltet bis zu etwas, was sich spontan irgendwie gefaltet hat in irgendeine Richtung. Zu unserer großen Freude – denn es haben ja zahllose nach diesem Antikörper gesucht – haben wir mit dieser Methode sehr interessante Antikörper bekommen. Und darüber hinaus sogar einen Antikörper, der in unserer jetzigen Forschung für neuere Projekte gebraucht wird, er ist in der Lage, direkt dieses Protein auch in seiner dreidimensionalen Faltung zu erkennen. Das nur nebenbei.

Gut, wir waren nun also, im Prinzip wenigstens, im Besitz eines Antikörpers, der Prionprotein überhaupt erst mal erkennt. Jetzt ist es aber so, dass ich ja diese beiden: gesund PrP[C]und pathogen PrP[Sc]bzw. PrP[BSE], voneinander unterscheiden können muss. Das macht man so, indem man sich eine Eigenschaft zunutze macht, die nur das pathogene Prion aufweist. PrP[C]wird durch die Behandlung mit Verdauungsenzymen vollkommen zerstört, während das pathogene Prion resistent ist gegen den Abbau durch Verdauungsenzyme, oder, genauer, es wird nur ein bisschen angeknabbert. Das kann man sich dreidimensional vorstellen, seine Faltung ist so kompakt geknäuelt, dass es nicht verdaut werden kann, bis auf das, was eben noch raussteht. Der Test jedenfalls funktioniert im Prinzip eben so, dass ich die Hirnprobe zuerst verflüssige, dann mit diesem Verdauungsenzym behandle und danach das Übriggebliebene detektiere mit dem Antikörper. Wichtig ist, es gibt nicht nur ein Kriterium, dass dieser Antikörper bindet, es gibt ein zweites Kriterium, das der Größenveränderung durchs Anknabbern. Dadurch ist wirklich eine eindeutig zuverlässige, 100-prozentige Diagnose möglich, die ganz klar auch auf die wissenschaftliche biochemische Definition der Prionenerkrankung zurückgreift. Wir hatten nun diesen Test, und bevor wir den veröffentlichten, haben wir natürlich ein Patent angemeldet. Und dann war es ganz einfach so, dass niemand sich für diesen Test interessierte, weil niemand das für einen Markt gehalten hat. Die Pharmaunternehmen zum Beispiel, die auch in der Diagnostik tätig sind, bekamen von den Behörden ganz klare Signale, dass kein Test eingeführt wird.

Für so einen Test muss es Behörden geben, die ihn einführen wollen, es muss eine Fleischindustrie geben, die solche Tests begrüßt usw., alles das gab es nicht. Wir hatten also die Wahl, den Test sozuzsagen zu vergessen und uns wieder unseren wissenschaftlichen Karrieren zuzuwenden oder die Vermarktung selber in die Hand zu nehmen. Nicht in unseren wildesten Träumen sind wir damals davon ausgegangen, dass das mal eine normale Vorschrift würde, dass man in Europa mal alles testen wird! Dennoch haben wir uns um private Geldgeber gekümmert – von keiner Bank hätten wir unter den damaligen Umständen Geld bekommen. In einigen Monaten hatten wir so eine knappe Million Schweizer Franken zusammen als Startkapital und gründeten die Prionics AG, eine Spin-off-Firma an der Universität Zürich. Es war für den Start sehr hilfreich, ein Labor mit Biosicherheitsstufe 3 hätten wir uns privat gar nicht mieten können. Wir haben anfangs dann alternativ auch etwas Geld verdient, indem wir unsere in den Zellkulturen produzierten Antikörper verkauft haben an Forscher, und andere Sachen in kleinem Stil. Es reichte, um ein paar Leute zu ernähren. Aber wir haben uns manchmal schon gefragt, ob es nicht die falsche Entscheidung war und wir nun zwischen den Stühlen sitzen. Der Durchbruch, oder der Vorbote von dem, was dann der Durchbruch wurde, kam 1998 durch die Erlaubnis der Behörden, mit unserem Test 3.000 Tiere im Schlachthof zu untersuchen. Der Test war ja anerkannt von den Behörden und die Presse hat Druck gemacht, da stimmte man eben zu, war aber der Meinung, dass die Schweiz kein BSE hat natürlich, bzw. allenfalls vielleicht eins von 20.000 Tieren, und da konnten 3.000 leicht zugebilligt werden.“

Herr Moser blickt sinnend auf einen alten Adventskranz, der, halb ins Wachs der ehemals heruntergebrannten Kerzen eingeschmolzen, fest an der Tischdecke haftet. „Und tatsächlich haben wir einen Fall gefunden. Damit war weltweit zum ersten Mal als Folge eines positiven BSE-Testergebnisses verhindert worden, dass ein BSE-Tier aus der Routineschlachtung in den Verzehr kommt. Das hat natürlich in der ganzen Presse Wellen geschlagen, bis dahin wurde ja immer behauptet, BSE-Tiere gelangen nicht in die Nahrungskette. Der Punkt ist, man kann das nur widerlegen, wenn man testet, und Testen war verboten bis dahin! Es ging dann trotzdem eher schleppend weiter, wir durften verendete, kranke und notgeschlachtete Tiere testen fürs Erste und konnten nachweisen, dass es sich hier um eine Hochrisikogruppe handelt in Bezug auf BSE. Anfang 1999 allerdings hat die Schweiz dann das weltweit erste aktive BSE-Überwachungsprogramm eingeführt. Alle kranken und notgeschlachteten Tiere und drei Prozent der regulär geschlachteten über 24 Monate alten Rinder wurden nun mit dem Prionics-Test getestet, was im Laufe des Jahres zu einem drastischen Anstieg der BSE-Fälle führte.

Mitte 1999 passierte etwas sehr Entscheidendes für uns, die EU führte kurzfristig eine Evaluierung für BSE-Tests durch mit dem Resultat, dass unser Prionics-Test als einziger in dieser Evaluierung Ergebnisse mit 100-prozentiger Sensitivität und Spezifität lieferte, und zwar ohne Wiederholungstestungen; eben auf Anhieb, was die anderen nicht leisten konnten. Der eigentliche Durchbruch kam dann im Jahr 2000 mit der Entscheidung der EU, dass alle Mitgliedstaaten ab 2001 BSE-Tests einführen müssen, und Ende 2000, Anfang 2001, als da vor unserer kleinen Firma plötzlich ein riesiger Markt lag – denn viele der Länder wollten das Überwachungsprogramm ausweiten und den Prionics-Test zur Untersuchung verwenden –, da brach über uns erst mal das Chaos herein. Wir haben abenteuerlich die erste Produktion in den Gängen der Universität in Gang gebracht, völlig improvisiert, wir mussten sie ja mehr als verhundertfachen, und das über Weihnachten/Neujahr 2001, da hat in der Prionics niemand mehr geschlafen, tausende von Anrufen wurden über ein Callcenter geleitet, ganz Europa wollte BSE-Tests oder etwas Konkretes dazu erfahren. Alle zwei Stunden bin ich rüber und habe einen Stapel Faxe geholt, wir waren damals noch weniger als 20 Leute!

Nun sind die Banken bei uns natürlich Schlange gestanden, haben Bruno Oesch und mir gesagt: Take the money and run! Verkauft die Firma und seid einfach nur noch reich. Das haben wir kategorisch abgelehnt und einfach so weitergemacht. Inzwischen gibt es natürlich ein eigenes Betriebsgebäude – nachher werden wir hinfahren. Mittlerweile haben wir den Prionics-BSE-Test über 15 Millionen Mal eingesetzt, er ist der meistverwendete BSE-Test weltweit. Der Bruno Oesch und ich haben es uns jetzt so eingeteilt, dass er mehr für die Forschung zuständig ist und ich mehr für das ganze Drumherum. In der Forschung haben wir derzeit 20 Leute …“

Wir fragen nach dem Bluttest, an dem viele Forschungslabors seit Jahren vergeblich arbeiten, und ob ein solcher Test am lebenden Tier den jetzigen Test nicht überflüssig machen würde. „Der ultimative Grund, überhaupt einen Bluttest zu entwickeln, ist nicht so sehr der Veterinärmarkt. Es geht mehr um die Frage der Blutprodukte und Bluttransfusionen. Das Problem der Bluttransfusionen ist ja … wir machen im Prinzip zwar keinen Kannibalismus, aber gewisse Forscher haben das Neokannibalismus genannt, den betreiben wir eigentlich. Und da kommt es zu Übertragungen. Wenn Sie länger als ein halbes Jahr in England gelebt haben, dann werden Sie nicht mehr zugelassen als Blutspender in den USA. Also ich glaube schon, dass die Blutproduzenten so einen Test gerne einführen würden. Das ist das eine, das andere ist natürlich, dass man dann gleichzeitig einen Lebendtest für Tiere hätte, aber, ohne dass ich darauf jetzt genauer eingehen will, muss man sich sicherlich dabei überlegen, dass ein Bluttest, was die Sicherheit betrifft, womöglich weniger im Interesse des Verbrauchers wäre. Denn die Schlachthöfe müssten diese Tests ja nicht mehr durchführen, der Bauer könnte das machen und würde dann einfach sein Zertifikat selbst ausstellen. O.K., im Prinzip sicher keine schlechte Idee, aber Papier ist geduldig! Also vom Konsumentenschutz aus gesehen, finde ich das, was wir jetzt machen, nicht die schlechteste Lösung. Beim Hirnstamm ist Fälschung eigentlich kaum möglich, weil’s den nur einmal gibt pro Tier, er wird im Schlachthof dem Schädel entnommen und ins Labor geschickt, als Ganzes, ja! Das ist eine anatomische Einheit. Auf unsere Initiative hin wurde das so gemacht, wir haben das gepusht, denn es gab ein Konkurrenzverfahren bei der Evaluierung, das am Rückenmark gemacht werden sollte. Im Betrugsfall stünde da eine Menge Probematerial zur Verfügung, ein Teil schicke ich ein, wenn’s negativ ist, habe ich jede Menge Negativproben zur Verfügung. Und man weiß einfach, eine Kuh, bei der das Gehirn und Rückenmark dann positiv ist, die hat einfach hundertmillionenfach mehr Infektiosität als eine im früheren Stadium. Die ist hoch gefährlich und die muss weg, kann auch weg, problemlos. Zum Glück sind die Zeiten der Vertuschung vorbei!“

Wir erwähnen Frau Dr. Herbst, die in Deutschland zu früh BSE diagnostizierte. Lebhaft sagt er: „Der Punkt ist, dass sie es nicht beweisen konnte. Der Skandal ist, dass die Fälle nicht korrekt untersucht worden sind, dass dem nicht nachgegangen wurde. Auffallend ist, dass sie ihre Beobachtungen mit einer ungefähren Frequenz von dem gemacht hat, was wir heute wissen. Als ich damals von der Geschichte erfuhr, da wusste ich nicht, spinnt da jemand oder hat da jemand wirklich was gesehen? Und ich dachte, sie kann doch nicht die Einzige sein?! Ich hab dann später viele Anrufe gekriegt von Tierärzten aus Deutschland, die irgendwie … so wahnsinnig gelitten haben … weil sie Fälle gesehen hatten und nun nicht wussten, ist es BSE oder nicht? Also sie mussten sich entscheiden, melde ich das jetzt oder nicht? Und irgendwie war das seltsam … ich konnte das gar nicht nachvollziehen, am Telefon, dass die so wahnsinnige Angst hatten. Mit einem habe ich längere Zeit, über mehrere Tage hinweg gesprochen, ihm gesagt, ja, was kann Ihnen denn passieren, ich meine, Sie sind der Tierarzt! Sie diagnostizieren einen Verdachtsfall, Sie reichen das weiter … Was ist daran furchterregend? Er konnte mir das nicht erklären, warum er so litt. Einige Tage später hat er wieder angerufen und gesagt, ich habe mit meiner Familie gesprochen und es sind alle der Meinung gewesen, dass ich das melden muss, und wenn es den Ruin meiner Existenz bedeutet … der Fall war dann übrigens negativ am Schluss …

Also es gibt ja einen sehr interessanten Aspekt des ganzen BSE-Skandals, der mich persönlich stark interessiert, das ist diese kollektive Paranoia, die … ohne dass irgendwo ein böser Diktator da ist und sagt, du wirst erschossen, wenn … Alles, was wir glaubten überwunden zu haben in unseren modernen Demokratien, weil wir sagten, das kommt nur von der Diktatur selbst, weil sich jemand Zugang verschafft hat zur Macht und sie missbraucht, gewalttätig die Leute einschüchtert, die Meinungen unterdrückt, das kommt plötzlich ohne jede Not hoch. Plötzlich sehen wir Mechanismen in einem Ausmaß wieder, und die legt ein Kollektiv von Menschen an den Tag, die gar keinen Diktator zu fürchten haben. Und dann, von einem Tag auf den anderen, wird gesagt, O.K., es gibt jetzt BSE, du kannst es melden, du musst es melden! Und nach ein paar Wochen fällt keinem mehr auf, dass es je anders gewesen war. Es ist eigentlich in jedem Land nach demselben Muster abgelaufen. Also diese Stadien der Verleugnung, dann die Stadien, in denen es eigentlich so offensichtlich wurde, dass man es eigentlich nicht mehr verleugnen konnte und deshalb erst recht mit allen Argumenten und Mitteln versucht hat zu verleugnen … dann plötzlich macht es peng!, es gibt keinen graduellen Übergang, es ist einfach dann eben so.

Also diese x Tierärzte, die mich kontaktiert haben und die einfach eine extreme Angst hatten, weil sie natürlich sehr genau gesehen und gemerkt haben, wie kohärent das System war, hatten diese Angst andererseits nicht so ganz unbegründet, wie sich zeigt. Zum Beispiel eines der Labors, die mit uns dann zusammengearbeitet haben, eines in München, ist in Konkurs gegangen, weil es einfach die Proben nicht bekam. Die Kunden wurden so verängstigt von den Behörden, dass sie lieber zurücksteckten, denn zunächst war gesagt worden, private Tests sind illegal. Also der Metzger, die Lebensmittelkette oder wer auch sonst testen wollte, der wurde zum Gesetzesbrecher gestempelt. Denn BSE ist eine Tierseuche … und Tierseuchen sind meldepflichtig, die Überwachung der Tierseuchen steht nur staatlichen Stellen zu und die staatlichen Stellen wenden den BSE-Test nicht an, aus dem einfachen Grund, weil’s kein BSE gibt! Und plötzlich, nachdem die Tests gemacht wurden, da wurden überall auch Verdachtsfälle gemeldet, untersucht und für positiv befunden, wie ist das möglich? Das alles ist heute kein Thema mehr, weil sich kaum jemand erinnern kann daran.“

Wir beschließen, in den Betrieb zu fahren. Vor der Tür stehen zwei große Wagen, wir werden in den mit dem Stoffdach gebeten und fahren mit unserem Gastgeber seine tägliche Wegstrecke zum Betrieb in Schlieren, etwa 20 Minuten entfernt von Pfäffikon, nordwestlich vom Stadtzentrum Zürichs, in einem alten Industriegebiet. Der Betrieb steht in einem Ensemble anderer, unauffälliger, moderner Gebäude. „Eine Art Technologiezentrum“, sagt Herr Dr. Moser und führt uns an einer lebensgroßen, bunt bemalten Plastikkuh vorbei ins angenehm klimatisierte Gebäude, vorbei an zwei schlafenden Hunden, in farbenfrohe Flure, entlang an Glasfronten, hinter denen, halb verdunkelt gegen die Sonne, funkelnde Labore liegen. Herr Moser geht voran: „Das ganze Gebäude ist eigentlich in zwei Teile geteilt, hier rechts gehts zum Bio-Tech-Labor rein, dahinter ist eine Schleuse … das ist alles hermetisch abgeriegelt mit Unterdruck, dort hinten ist der Kühlraum des Normalbereichs, dort der des BSE-Bereichs. Das ist alles top gemacht, wir übertreffen die Vorschriften damit bei weitem.“

Wir betreten das Forschungslabor, er zeigt uns die kleinen Plastikbehälter mit dem integrierten Quirl, in denen die Hirnproben verflüssigt werden. „Das haben wir selbst entwickelt, das muss nur noch in die Maschine gestellt werden, dann entsteht Kontakt und der Quirl bewegt sich …“ Er zeigt uns ein Blatt mit aufgeklebten Kontrollstreifen: „Wenn’s ein positives Tier war, dann gibt’s hier so einen deutlichen Schatten, bei einem negativen Tier verfärbt sich absolut nichts.“ Er zeigt uns im Vorbeigehen weitere Labors, eins sieht aus wie’s andere. In einem sind Frauen in weißen Kitteln mit Arbeiten beschäftigt, die nicht warten können, es sind die Besitzerinnen der Hunde. „Dort ist das Zellkulturlabor, wir stellen da einfach nur einzelne Reagenzien her, in kleine Chargen, eben Sachen, die relativ schwierig zu produzieren sind … Antikörper zum Beispiel. Normalerweise sind solche Labors absolute Bunker, die Leute sind darin sehr abgeschottet, aber das hat eigentlich keinen sachlichen Grund – außer bei den Labors der ganz hohen Sicherheitsstufe natürlich, die haben gar keine Fenster – aber auf dieser, unserer Sicherheitsstufe, hat man im Prinzip die Wahl. Wir haben gesagt, das wir nach außen und zum Gang hin möglichst viele Fenster haben wollen. Vorne sind überall Telefone angebracht außen, da kann jeder jederzeit hineintelefonieren und man sieht sich.“ Wir fahren mit dem Lift hinauf in die Büroetage, ein offenes Großraumbüro. Hinter einer schräg eingezogenen Glasfront liegen die Chefbüros „Aquarium genannt“, sagt Herr Moser, „als wir noch an der Uni waren, haben wir uns gesagt, wir wollen nicht in so abgeschotteten Büros sitzen … Also wir sind jetzt hier 80, 85 Leute, Teilzeitarbeitende mitgerechnet.“ In der Betriebskantine macht er uns einen Kaffee. Wir sitzen neben einer matten Blattpflanze und reden über Zufälle. „Also wenn 1998 keine positive Kuh unter den 3.000 getesteten gewesen wäre, wäre unser Test bei der Evaluierung nicht genommen worden, die Studien wären desaströs gewesen. Man hätte vielleicht die ganze Sache am Ende begraben und wäre der Meinung geblieben, dass Großbritannien ein BSE-Problem hatte im vorigen Jahrhundert und Resteuropa war so weit BSE-frei.“