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Archiv-Artikel

„Obama ist nicht nur Show“

Um die Zukunft der politischen Kultur geht es bei einem Kongress der Heinrich-Böll-Stiftung. Deren Geschäftsführer, der ehemalige Bremer Umweltsenator Ralf Fücks, sucht Anregungen in den USA

IINTERVIEW: KLAUS WOLSCHNER

taz: Herr Fücks, die Menschen sind informiert wie nie zuvor – gleichzeitig ist das Desinteresse an demokratischen Institutionen sehr groß. Wie kommt das?

Ralf Fücks: Die Politikwissenschaft gibt darauf unterschiedliche Antworten. Es gibt eine Diffusion politischer Entscheidungsprozesse. Die Orte, an denen politische Entscheidungen getroffen werden – und damit eine zurechenbare Verantwortung – verschwinden immer mehr. Es gibt eine Verlagerung auf internationale Räume, zum Beispiel auf die Ebene der Europäischen Union, oder in Club-Strukturen wie den G 8-Gipfel. Und es gibt auch die Vernebelung von Verantwortung im deutschen föderalen System. Das untergräbt das Zutrauen in die demokratischen Institutionen.

Kompliziert waren die Entscheidungswege früher auch, die Akteure konnten aber simulieren, sie hätten entschieden.

Es gibt reale Veränderungen im Zusammenhang mit der Globalisierung nicht nur von Märkten, sondern auch von Politik. Das schafft neue Herausforderungen: Was heißt Demokratie zum Beispiel auf der europäischen Ebene? Da kann es ja nicht nur um die Stärkung des europäischen Parlaments gehen, das immer noch nicht die Rechte eines Vollparlaments hat, weil die EU kein Staat ist, sondern ein Staatenbund. Es geht auch um eine europäische politische Öffentlichkeit, also um die Fähigkeit für die Zivilgesellschaft, europäische Politik zu beeinflussen. Das ist noch ein sehr weiter Weg. Gleichzeitig geht es uns – jedenfalls auf dem Kongress – auch um eine Wiederbelebung von Alltagsdemokratie an Orten wie Schule und Universität, um Bürgerbeteiligung zu Fragen der Stadtentwicklung.

Böse gesagt: Bei den großen Themen ist unser Einfluss zu klein, da kümmern wir uns um die Straßenbäume.

Die kommunale Umwelt ist immer noch prägend für das Alltagsleben. Sicher ist das keine Antwort auf die globalen Fragen, etwa die Finanzkrise und die Neuregulierung der Finanzmärkte. Da fällt auf, dass Demokratie zusammenschrumpft auf das Handeln der Exekutive. Die Entscheidung über Rettungs- und Konjunkturprogramme auf einer zig-Milliarden-Höhe ist de facto unter Ausschluss des Parlaments und unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit gefallen, und der eigentliche Test für diese Programme sind die Märkte: Stimmen die zu oder nicht? Das ist das Kriterium für erfolgreiche „Krisenpolitik“. Wie kann sich die Zivilgesellschaft an solchen Entscheidungsprozessen beteiligen?

Sind die Profile der Parteien aber nicht viel zu verwässert, um noch Interesse am Kern der repräsentativen Demokratie, an der Wahl, zu erzeugen?

Es ist die Frage, wie Parteien stärker politische Alternativen artikulieren können, ohne in eine plumpe Freund-Feind-Politik zurückzufallen. Unter den Bedingungen des Fünf-Parteien-Systems brauchen wir mehr an politischer Flexibilität, um Koalitionen über die alten Lagergrenzen hinweg bilden zu können. Das darf aber nicht zu einer Beliebigkeit von Parteien führen. Was ich an Obama spannend finde: Ihm gelingt es, Menschen anzusprechen, zu ermutigen und politisch zu mobilisieren, ohne das Blaue vom Himmel zu versprechen oder in eine Klassenkampf-Rhetorik zu verfallen.

Aber da wird doch Politik zur perfekten Show.

Das sehe ich nicht so. In den ersten Tagen der neuen Administration wurden doch schon dramatische Veränderungen der Realpolitik deutlich – es gab einen Kurswechsel in der Energie- und Klimapolitik, es wurde eine Krankenversicherung für 11 Millionen Kinder verabschiedet, die plötzlich möglich geworden ist. Es zeigt sich ein ganz neues Herangehen in der Außenpolitik. Demokratie ist nicht nur eine Show-Veranstaltung.

Aber die Wahl gewonnen hat er mit perfekter Inszenierung.

In der letzten Phase des Wahlkampfes hat er sehr viel über konkrete Politik gesprochen und nicht nur an Emotionen appelliert. Und das Versprechen, die Tugenden der amerikanischen Demokratie wiederzubeleben, war alles andere als Show.

Was müssen wir in Deutschland tun, um einen ähnlichen demokratischen Mobilisierungs-Effekt zu bekommen?

Wir können uns keinen Obama backen, eine solche Figur ist in der deutschen Parteiendemokratie sehr viel schwerer möglich. Wir zielen eher darauf, wieder Räume zu schaffen für politische Diskussion und Beteiligung und tatsächliche Mitentscheidung. Wir wollen möglichst viele ermutigen, sich zu engagieren. Gleichzeitig muss man von den Parteien verlangen, dass sie ihre Aufgaben wirklich ernst nehmen und sich nicht auf das Verwalten von Politik zurückziehen. Alle, die von Sachzwängen reden und von angeblich alternativlosen Entscheidungen, untergraben den Kern von Demokratie, was nämlich der Streit um die richtige Alternative ist.

Kongress „Demokratie wagen! Über die Zukunft unserer politischen Kultur“: 6./7.2., Hochschule für Künste, Speicher XI; Programm: www.boell-bremen.de

Fotohinweis:RALF FÜCKS, 57, ist Geschäftsführer der Heinrich-Böll-Stiftung, war 1991 bis 1994 Umweltsenator in der Bremer Ampel-Koalition.