: „Druck auf deutsche Afghanistanpolitik“
Terrorismusexperte Berndt Georg Thamm glaubt, dass Deutschland als Anschlagsziel wichtiger geworden ist
BERNDT GEORG THAMM, 61, ist Publizist und Referent für Weiterbildung über „Dschihad-Terrorismus“.
taz: Herr Thamm, Deutschland entwickelt sich nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden zu einem der bedeutendsten Anschlagsziele islamistischer Terroristen. Teilen Sie diese Einschätzung?
Berndt Georg Thamm: Vielleicht ist Deutschland nicht eines der wichtigsten Anschlagsziele, aber mit Sicherheit liegen wir im oberen Drittel.
Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?
Seit dem 11. September hat sich Deutschland in Sachen Bekämpfung des islamistischen Terrorismus sowohl im In- und Ausland sehr deutlich positioniert. Das gilt für den Hindukusch, für Nahost und auch für das Horn von Afrika. So sind wir für eine ganze Reihe militanter islamistischer Gruppierungen zum Anschlagziel geworden. Die jüngsten Drohungen machen deutlich, dass dies sowohl für Deutschland selbst gilt als auch für Deutsche im Ausland – und damit zuallererst für deutsche Bundeswehrsoldaten, Polizisten, Entwicklungshelfer sowie Diplomaten in Afghanistan.
Es gab bereits früher Drohvideos, in denen Deutschland genannt wurde. Was unterscheidet diese von den aktuellen Terrorbotschaften?
Neu ist die Massivität der Drohungen. Wir haben im Januar eine regelrechte Propagandaoffensive gehabt, die es vorher so nicht gab. Es gibt allein vier Drohvideos, die in deutscher Sprache Deutschland und Deutsche im Ausland bedrohen. Sie sind unterschiedlichen Gruppen zuzuordnen, eines kommt möglicherweise von Trittbrettfahrern. Mitte Januar hat es einen Anschlag vor der deutschen Botschaft in Kabul gegeben, zu dem sich die Taliban bekannten. Und Ussama Bin Laden hat, vor dem Hintergrund des Gazakrieges, höchstselbst mit einer Tonbotschaft zum globalen Dschihad aufgerufen.
Andere Experten betonen die Rolle der Bundestagswahl und verweisen auf Parallelen zu Spanien. 2004, kurz vor den dortigen Wahlen, wollten Islamisten mit den Anschlägen in Madrid einen Abzug des Landes aus dem Irak erreichen.
Natürlich erinnert etwas daran. Erst wurde Spanien im Dezember 2003 vorgewarnt, dann erfolgten drei Tage vor der Wahl, am 11. März 2004, die Anschläge von Madrid. Nun wurden wir ein Dreivierteljahr vor der Bundestagswahl vorgewarnt, unsere Afghanistanpolitik zu ändern und die Bundeswehrmandate nicht zu verlängern. Im Vorfeld dieser Verlängerung hat es bereits in den Vorjahren mehr Anschläge gegeben. Damit sollte die Gefahr des Einsatzes verdeutlicht und so über Medien und Bevölkerung Druck auf die Politik ausgeübt werden. Neu ist die Kampfbereitschaft eines Teils der deutschen Konvertiten, den Dschihad gegen die eigenen Landsleute zu führen.
Wie gut ist Deutschland gegen Anschläge gerüstet?
Die deutschen Sicherheitsbehörden sind sehr gut aufgestellt. Das ist ein Grund, warum es in Deutschland noch keinen Anschlag gegeben hat. Aber die Bevölkerung hierzulande fühlt sich subjektiv nicht so bedroht, wie sie es objektiv ist.
INTERVIEW: SABINE AM ORDE