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Archiv-Artikel

Auf gepackten Koffern

Es lockt die lässige Lebensart, der bessere Job, der Ruhestand in der Sonne: Mehr und mehr Berliner wandern aus. Warum wollen sie hier weg? Eine Beraterin und drei Auswandererfamilien erzählen

von STEFFEN BECKER

Seit Jahren verlassen mehr Bundesbürger die Hauptstadt, als zuziehen. Eine wachsende Gruppe begnügt sich nicht mehr mit dem Speckgürtel als Zuflucht. 5.818 Berliner wanderten 2002 aus. Die meisten zog es in die Vereinigten Staaten, vor der Schweiz und Polen. Die Zahl der Auswanderer steigt kontinuierlich und rasant – 1991 wollten lediglich 2.696 Berliner raus aus Deutschland.

Die Motive sind vielfältig. „Rentner, die ihren Lebensabend in der Sonne verbringen möchten, Menschen, die in einem entspannteren gesellschaftlichen Umfeld leben wollen. Aber die größte Gruppe will aus beruflichen Gründen weg“, sagt Christina Busch. Die 41-jährige leitet die Berliner Geschäftsstelle des Raphaelswerkes. Unter dem Dach des Caritasverbandes berät die Organisation Auswanderungswillige.

Busch gibt pro Jahr 500 bis 800 Menschen Tipps und Hilfestellungen. In den vergangenen Jahren sei das Interesse gestiegen, in Berlin noch deutlich stärker als in den wirtschaftlich stabileren Gegenden Süddeutschlands. Auch die Zusammensetzung ihrer Klientel habe sich verändert. Suchten früher hauptsächlich Menschen mit einer hohen beruflichen Qualifikation nach dem Karrierekick, fragten heute vermehrt Menschen aus mittleren Schichten nach ihrem Rat. Handwerker, Wissenschaftler, Ärzte, Pflegepersonal, Ingenieure, Menschen, die in der Gastronomie, den Medien und im EDV-Bereich arbeiten, seien derzeit besonders reiselustig.

Auch die Stimmung habe sich verändert: „In die Gespräche mischen sich zum Teil sehr resignative und frustierte Untertöne. Die Begründungen ‚soziale Kälte‘ oder ‚die Zukunft unserer Kinder‘ sind mittlerweile recht häufig zu hören.“ Trotzdem wagen nicht alle den letzten Schritt. „Viele unterschätzen den bürokratischen Aufwand“, sagt Busch. Kindergeld lässt sich oft nicht ohne weiteres übertragen, in manchen Ländern, die kein Sozialabkommen mit Deutschland abgeschlossen haben, muss man bei den Rentenansprüchen wieder bei null anfangen.

Wer im Ausland neu anfängt, reißt die Brücke zur Heimat meist nicht ganz ein, sondern lässt einen Holzsteg übrig. „Viele sagen mir, dass sie nur zwei, drei Jahre im Ausland arbeiten wollen. Das Gros kommt dann nicht mehr zurück“, so Busch. Zudem meldeten sich nicht alle ab, die weggehen. „Manche haben die Idee im Hinterkopf: Wenn es nun doch nicht klappt, kann ich einfacher zurück, andere denken an materielle Vorteile – etwa dass sie in der Krankenkasse bleiben können.“ Laut Statistik wanderten letztes Jahr 119.000 Deutsche aus. Die tatsächliche Zahl dürfte deutlich höher liegen.

Informationen für Auswanderungswillige gibt es beim Raphaelswerk Berlin unter Telefon 85 78 42 37