: Rückkehr nach Okinawa
Wenn das Leben wie ein Tag ist, auf den man sechzig Jahre lang gewartet hat: „Nabbie no koi – Nabbie’s Love“ von Yuji Nakae erzählt von Zeit und Veränderung
Ein älterer Mann, westlich gekleidet im weißen Sommeranzug, steht am Bug eines Schiffes, das auf eine kleine Insel im Süden Japans zusteuert. Er steht mit dem Rücken zur Kamera, sein Gesicht ist nicht zu sehen. Auch Nanako (Naomi Nishida), eine junge Frau aus Tokio, die im selben Schiff auf die Insel ihrer Großeltern zurückkehrt, erkennt ihn nicht, obwohl sie weiß, dass auch er ein Inselbewohner sein muss. – In dieser Anfangsszene sind bereits alle Themen von „Nabbie no koi“ angelegt: die Rückkehr (aus) der Vergangenheit, die Verbindung von Stadt und Land, die Einflüsse des Westens auf die japanische Kultur.
Dabei war die einschneidende Begegnung mit westlicher Lebensart keineswegs so friedvoll, wie die lichte Helle der Bilder suggeriert. Okinawa war lange Zeit ein eigenes Königreich, bis es unter die Doppelherrschaft Chinas und Japans kam. Im Zweiten Weltkrieg wurde es zum Schauplatz des Krieges zwischen Allierten und Japanern, die um jede einzelne ihrer Inseln verbissen kämpften. Die siegreichen Allierten blieben, um Militärstützpunkte aufzubauen; erst vor dreißig Jahren wurde Okinawa von den USA an Japan zurückgegeben. Aber während aller Wechsel der Macht bestanden die Inselbewohner stets darauf, „Einwohner Okinawas“ zu ein, um sich von den „Japanern vom Festland“ unterscheiden und so zumindest ihre geistige Unabhängigkeit aufrechterhalten zu können.
Dieser Eigensinn drückt sich nicht zuletzt in der Art und Weise aus, wie auf fremde Kulturen reagiert wird. Während Japan nach der gewalttätigen Öffnung gen Westen auf aggressive Weise die westlichen (Pop-)Kultureinflüsse durch Übersteigerung assimilierte, hat sich in Okinawa ein Nebeneinander der Kulturen etabliert, in dem sich traditionelle und moderne Elemente die Waage halten. Man lebt zwar auf Inseln, aber es gibt ja Fähren. Und das „Star Spangled Banner“ kann man auch auf der Shamisen, dem traditionellen dreisaitigen Lauteninstrument der Insel, intonieren.
Humorvoll und sentimental, dokumentarisch genau und mit einer gehörigen Portion Fantasie, erzählt „Nabbie no koi“ die Entdeckung der Liebesgeschichte von Nabbie, Nanakos Großmutter, und SunRa, der vor sechzig Jahren von Nabbies Familie von der Insel vertrieben wurde und der nun zurückgekehrt ist, um seine alte, jung gebliebene Liebe endlich mit sich zu nehmen. Aber die Erzählung um unerfüllte Leidenschaft, die Wiederkehr der Vergangenheit in der Gegenwart und die befreienden und die einengenden Seiten der Tradition dienen in „Nabbie no koi“ nur als Hintergrund für ein sympathisch gezeichnetes Porträt der Insel, ihrer Bewohner und ihrer Liebe zur Musik, sei es Okinawa-Folklore, Japan-Pop oder die irische Geige. Der schier grenzenlosen kulturellen Hybridisierung, der Vermischung von Stilen der Musik, entspricht die Verschmelzung von Tradition und Gegenwart auf Okinawa.
Regisseur Yuji Nakae, der gesteht, von der „Grenzlage“ Okinawas besonders fasziniert zu sein, erläutert: „Die Zeit ist eines der Themen meines Filmes. Ich wollte zweierlei Zeiten richtig darstellen: zum einen die Dauer von sechzig Jahren, Nabbies Leben, und andererseits die Veränderung der Zeit an einem Tag.“ Am deutlichsten und schönsten zum Ausdruck kommt dies in der wunderbaren Schlussszene, die Tradition, Gegenwart und Zukunft durch Tanz, Musik und Ritual verbindet. Wenn das Leben wie ein Tag ist, weil man sechzig Jahre auf seinen Gelieben wartet, verbringt man diesen Tag am besten, indem man feiert.
DIETMAR KAMMERER
„Nabbie no koi – Nabbie’s Love“. Regie: Yuji Nakae. Mit Naomi Nishida, Tomi Taira, Susumu Taira u. a. Japan 1999, 92 Min.