DIE FUSSBALL-EUROPAMEISTERSCHAFT IST KEIN TURNIER DES HASSES : Nationalismus fast passé
Die spektakulären Quoten, die ARD und ZDF mit ihren Übertragungen aus Portugal erzielen, lassen einen in einer Hinsicht besonders staunen: Sie gibt es auch, wenn Deutschland nicht beteiligt ist. Ein Phänomen, das aus allen EM-Ländern vermeldet wird: Fußball dieses Kalibers beglückt. Europa genießt an der Klasse der Spiele.
Was für ein Unterschied zu früheren kontinentalen Turnieren: keine Schlachten von Hooligans wie 1988 in Deutschland, keine Ausschreitungen nach Spielen, bei denen die eigene (egal, welche) Mannschaft verlor. Stattdessen sah man Bilder von Fans in den Stadien, die sich ihre Gesichter mit den Farben ihrer Nation bemalt haben: wie Kinder am Ende eines Fingerfarbenkursus. Das sah unendlich friedlich und zugleich leidenschaftlich aus. Man hielt dem eigenen Team die Daumen und nahm es traurig hin, wenn es sportlich eine Niederlage hinnehmen musste. Am Fußball hängt nicht mehr wie früher das, was man für Nationalstolz hielt und was oft wie Überheblichkeit (vor allem in Deutschland) aussah.
Europa kommt ohne blutigen Nationalismus aus. Die Erinnerung an die Schlachtfelder und an deren Stellvertreterkämpfe auf dem Fußballfeld ist blass geworden, gut so. Selbst an Teams wie jenem von England oder dem von Rudi Völler hingen keine Erwartungen, die ums gesellschaftliche Ganze kreisten. Man spielte, begeisterte hin und wieder – und verlor: Und nichts war außer Trauer (bei England) oder Einsicht in die eigene Beschränktheit im Sportlichen (bei den Deutschen).
Die nationalen Gegnerschaften sind auf das Niveau einer Rivalität zwischen Real Madrid und Bayern München herabgesunken. Ein Erfolg der Sicherheitsbehörden ist das auch, in erster Linie aber einer der europäischen Integration: Europa ist kein Kontinent der Schlachtfelder mehr.
Beinah. Kroatien spielte, erfolglos, noch den Machofußball, den man vom Balkan kennt – und seine Fans benahmen sich entsprechend. Wenn auch noch die exjugoslawischen Fans auch nur noch Fußball bejubeln oder erleiden, ist mehr oder weniger Frieden auf dem Kontinent. JAN FEDDERSEN