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Archiv-Artikel

EINE NEUE LINKSPARTEI HAT CHANCEN – VOR ALLEM DANK DER SPD-SPITZE Es geht um mehr als Arbeitsplätze

Wenn es in Deutschland ein Projekt von abschreckender Schwierigkeit gibt, dann das linker Parteineugründungen. Das einzig positive Beispiel der Nachkriegszeit, der Aufstieg der „Grünen“ in den 80er-Jahren, verdankte sich der Schubkraft fusionierender neuer sozialer Bewegungen und einem (damals) zündenden politischen Projekt mit Fernwirkung. Hingegen war den verschiedenen Versuchen der Nachkriegszeit, eine demokratisch-sozialistische Partei links von der SPD zu bilden, das Scheitern auf die Stirn geschrieben. Es fehlte die Kumulation von Widersprüchen, es fehlte an Leuten, Ideen und der sozialen Basis. Kann die jetzt gegründete Wahlinitiative für Arbeit und soziale Gerechtigkeit auf ein besseres Schicksal hoffen? Zumindest ist die Situation historisch offen.

Mit der Agenda 2010 hat sich die SPD einem Unternehmen verschrieben, das den Wertebestand der Partei liquidiert. Schröder wie Müntefering stilisieren sich als Heroen einer alternativlosen Notwendigkeit, die dem verstockten Parteivolk zum eigenen Besten aufgezwungen werden muss. Dieser Zwang kennt weder Ziel noch Ende.

Jetzt drängt die massenhafte Abkehr der „Unterschichten“ bei den Wahlen der SPD die Erkenntnis auf, dass ArbeiterInnen und allgemein Lohnabhängige doch keiner sozialen Restkategorie angehören. Aber dieser Erkenntnis wird keine Umkehr folgen. Nicht nur weil die Führung glaubt, jetzt keine Wahl mehr zu haben. Sondern weil sich das saturierte Milieu der Parteimacher und die Malocher zu fremd geworden sind. Wie der Parteienforscher Franz Walter es sagte: Arbeiterklasse und Sozialdemokratie – das gehört nicht mehr zusammen.

Unter den linken Parteineugründern finden sich wichtige gewerkschaftliche Funktionsträger. Sie haben von ihren Chefs keine Marginalisierung zu befürchten. Und sie sind im Gegensatz zur PDS in einer Reihe (west)deutscher Betriebe verankert. Die Gewerkschaften selbst sind jedoch organisatorisch wie programmatisch in der Krise, viele ihrer linken Funktionäre suchen eher Anschluss an Bewegungen wie Attac, weil sie überwiegend an Allianzen und Aktionen außerhalb der Parteien glauben und das linke Parteigründungsprojekt als kräftezehrenden, aussichtslosen Irrweg betrachten.

Der Erfolg einer neuen linkssozialdemokratischen Parteigründung wird daher davon abhängen, ob sich die „Gründer“ aus dem Bannkreis eines bornierten Traditionalismus lösen. Ob sie bei der Verteidigung des Sozialstaats auch Ideen Raum geben, die über die bloße Verteidigung der Arbeitsplätze und über Kämpfe im Rahmen des nationalen Kapitalverhältnisses hinausgehen. Kurz: ob sie wirklich in der Lage sind, „das Fenster zu öffnen“.

CHRISTIAN SEMLER