piwik no script img

Archiv-Artikel

„Wie Woodstock bei besserem Wetter“

Für Lutz Kirchenwitz atmeten die Weltfestspiele Aufbruch. Er, der das Liedfestival PLX organisierte, hat von Klaus Renft bis zu koreanischem Agitprop alles gesehen. Außer Biermann. Morgen spricht er darüber im Roten Salon als Zeitzeuge

taz: Herr Kirchenwitz, was haben Sie bei den Weltfestspielen 1973 gemacht?

Lutz Kirchenwitz: Ich war Programmverantwortlicher des Liedfestivals PLX, des „Festivals Politische Lieder zu den X.“.

Wie kamen Sie zu dieser Aufgabe?

Ich kam im April 73 von der Fahne zurück, zuvor hatte ich mein Kulturwissenschaftsstudium beendet. Weil ich schon während meiner Studienzeit im Oktoberklub und beim Festival des politischen Liedes mitgearbeitet hatte, hat mich mein damaliger Betrieb, die Generaldirektion beim Komitee für Unterhaltungskunst, für die Weltfestspiele freigestellt.

Wie muss man sich das PLX vorstellen?

Ich würde sagen, das war ein tolles Musikfestival innerhalb des Jugendfestivals. Wir bespielten in diesen Tagen den ganzen Rosa-Luxemburg-Platz: die Volksbühne samt Foyer und Salons, da, wo heute der Parkplatz ist, gab es ein Freiluftrestaurant, und auf der anderen Seite des Theaters stand eine Freilichtbühne. Da spielten von vormittags um elf bis nachts um zwölf Bands, Liedermacher, Ensembles usw. Insgesamt traten bei uns 103 Gruppen aus 45 Ländern auf.

Haben Sie da nicht manchmal die Übersicht verloren?

Organisatorisch hatten wir das im Griff, aber ich habe keineswegs alle Künstler persönlich zu Gesicht bekommen, denn die Konzerte und Gespräche liefen ja zum Teil parallel.

Wie haben Sie die auftretenden Gruppen ausgewählt?

Was heißt ausgewählt! Die einzelnen Länderdelegationen brachten ihre Musiker mit, und die traten dann eben auf. Das hatte oft ein sehr unterschiedliches Niveau. Ich erinnere mich zum Beispiel sehr genau an das koreanische Nationalprogramm. Ein schwülstiges Spektakel über irgendwelche Nationalhelden mit Maschinengewehrnestern, Theaterblut und allem Drum und Dran.

Wollte das denn jemand sehen?

Ich kann nur sagen: Volksbühne und Freilichtbühne waren eigentlich immer voll. Es soll ja anderswo Fälle gegeben haben, wo von den Berliner Unis die Studenten in schlecht besuchte Veranstaltungen zwangsabgeordnet wurden. Aber bei PLX waren eh immer so viele Leute auf dem Rosa-Luxemburg-Platz, ein ewiges Kommen und Gehen – unsere Veranstaltungen waren sehr gut besucht.

Wie stand es mit dem Woodstock-Feeling?

Ja, das gab es, wenn auch Gott sei Dank bei besserem Wetter.

Es gibt ja die These, die X. Weltfestspiele markierten möglicherweise den Anfang vom Ende der DDR, weil die Menschen Gefallen an der weltoffenen Atmosphäre jener Tage gefunden hatten.

Also diese These halte ich für besonders unpassend. Die Weltfestspiele waren eine Sternstunde der DDR. Viele – mich eingeschlossen – haben diese Tage als Anfang von etwas, als Aufbruch empfunden. Alles, was im Osten Rang und Namen hatte, hat mitgemacht, wollte mitmachen. Sämtliche Rockbands spielten, Manfred Krug trat im Nationalprogramm der DDR an, sogar Wolf Biermann hätte gesungen, wenn er gedurft hätte.

Biermann bei den Weltfestspielen?

Ja, es gab in der Vorbereitungsphase des Festivals einen Aufruf an die Künstler: Schickt Lieder ein! Damals wie heute kommt bei solchen Wettbewerben eine Unmenge grottenschlechter Einsendungen, aber hin und wieder gibt es auch einige wirklich gute. Und Biermann reichte seine sehr schöne Nachdichtung des Liedes „Hasta siempre“ von Carlos Puebla ein: „Comandante Che Guevara“. Aber ein Biermann-Beitrag bei einem von der FDJ organisierten Festival? Ein Tabu. Er wird einen nichts sagenden Absagebrief erhalten haben.

Haben Sie während des Festivals Klaus Landowsky von der Jungen Union getroffen?

(lacht) Nein, ich habe am Rosa-Luxemburg-Platz gearbeitet, während Landowsky in seinem gelben T-Shirt Flugblätter auf dem Alex verteilt hat.

Was kam nach den Weltfestspielen?

Uns war klar: So offen und liberal würde es nicht weitergehen. Das sah man schon auf dem Alex: Noch in der Nacht nach der Abschlusskundgebung auf dem Marx-Engels-Platz wurden alle weggescheucht, die da in den S-Bahn-Bögen und am Fernsehturm kampiert hatten. Aber bereits in der Zeit vor dem Festival hatte sich einiges verbessert. So wurden Rockmusik, Jugendklubs und Diskotheken gefördert. Man gewöhnte sich an lange Haare und Jeans und akzeptierte, dass die Leute Westfernsehen schauten. Bettina Wegner hat mir erzählt, dass sie während der Spiele staunend über den Alex ging und zu ihrem Mann Klaus Schlesinger sagte: „Das kann man doch nicht einfach wieder rückgängig machen!“ Und das konnte man auch nicht alles rückgängig machen, aber einiges schon.

Morgen treten Sie im Roten Salon der Volksbühne als Zeitzeuge auf. Was versprechen Sie sich von der Veranstaltungsreihe der Bundeszentrale für politische Bildung?

An sich finde ich das gut, vor allem auf die Sommer-Uni bin ich gespannt. Aber die Riege der Zeitzeugen sehe ich mit gemischten Gefühlen. Da sitzen zu viele Wessis, und die Ossis kommen fast alle aus oppositionellen Kirchenkreisen. Was da fehlt, sind doch Vertreter der FDJ, der SED, Leute, die bei den Weltfestspielen politische Verantwortung getragen haben. Aber so weit wollten die Veranstalter wahrscheinlich nicht gehen. INTERVIEW: ANJA MAIER