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Archiv-Artikel

Die Türkei weist Militär in die Schranken

Parlament votiert für eine weitgehende Entmachtung des Militärs. Dies ist ein weiterer Schritt in Richtung Brüssel

ISTANBUL taz ■ Die Politik in der Türkei soll zu einer weitgehend militärfreien Zone werden. Am Mittwochabend verabschiedete das Parlament ein Paket von Reformgesetzen, deren wichtigster Punkt die weitgehende Entmachtung des Militärs ist. Bislang regierte die Militärführung über den Nationalen Sicherheitsrat mit. In einigen Fällen nutzten die Militärs den Sicherheitsrat auch dazu, den Politikern Vorgaben zu machen, die diese nur noch nachvollziehen durften.

Damit soll Schluss sein. Der Nationale Sicherheitsrat wird auf ein alle zwei Monate tagendes Beratungsgremium reduziert, in dem die Zivilisten die Tagesordnung bestimmen. Der Posten des bisher mächtigen Generalsekretärs des Rates wird von einem Zivilisten ersetzt, der Apparat des Sicherheitsrates – zur Zeit eine Art Nebenregierung – wird drastisch reduziert.

Dazu kommt, dass das Parlament auch eine stärkere Kontrolle über die Militärausgaben bekommen soll. Bislang bewilligten sich die Generäle ihren Etat praktisch selbst, zukünftig wird er im Parlament abgestimmt und unterliegt der zivilen Kontrolle durch den Rechnungshof.

Diese Reformgesetze sind Teil des so genannten 7. Pakets zur Anpassung der türkischen Gesetzgebung an die EU. Dieses siebte Paket setzt den Schlusspunkt in einer Reihe von Reformen, die die Regierung von Tayyip Erdogan in den letzten Monaten durchgesetzt hat, um die Einhaltung der „Kopenhagener Kriterien“ durchzusetzen. Dazu gehörten nach der Abschaffung der Todesstrafe die Akzeptanz gewisser kultureller Rechte für die kurdische Minderheit, eine Liberalisierung des Versammlungsrechts, die Aufhebung der Einschränkung der Meinungsfreiheit, ein wirksameres Vorgehen gegen Folter und andere Misshandlungen in Polizeigewahrsam sowie die Durchsetzung des Primats der Politik gegenüber dem Militär.

Gerade für Erdogan und seine AKP-Regierung, die ganz überwiegend ihre Wurzeln in der islamischen Bewegung haben, war diese Reform eine Gratwanderung. Ein Teil der Bevölkerung fürchtet, die AKP könnte mit ihrer absoluten Mehrheit einer schleichenden Islamisierung der Gesellschaft Vorschub leisten und wünscht, dass das Militär als Bollwerk des Laizismus erhalten bleibt. Auch deshalb bemühte sich Erdogan, keine Konfrontationsstimmung mit dem Militär aufkommen zu lassen und die Reformen mit Generalstabschef Hilmi Özkök abzustimmen.

Obwohl es unter vielen Offizieren große Vorbehalte gibt, hat Özkök die Reform weitgehend mitgetragen und dafür gesorgt, dass andere hohe Offiziere sich mit negativen Stellungnahmen in der Öffentlichkeit zurückhalten. Wenn die Reform nach Unterzeichnung durch den Präsidenten in Kraft tritt, kommen aber auch die Politiker in eine neue Lage. Sie können sich nicht mehr hinter dem Militär verstecken, sondern müssen selbst die Verantwortung für alle Entscheidungen übernehmen.

JÜRGEN GOTTSCHLICH

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