Arbeitslosengeld II macht Kinder arm

Das neue Arbeitslosengeld II liegt zwar in der Höhe des Sozialhilfesatzes. Der aber ist schon lange nicht mehr an den Mindestbedarf angeglichen worden. Paritätischer Wohlfahrtsverband und Kinderschutzbund verlangen Aufstockung

BERLIN taz ■ Die Kinderarmut in Deutschland wird dramatisch steigen – davor warnten gestern der Paritätische Wohlfahrtsverband und der deutsche Kinderschutzbund. Denn die Bundesregierung plant im Rahmen der „Agenda 2010“, die Arbeitslosenhilfe auf das Niveau der Sozialhilfe abzusenken.

Dieses neue Arbeitslosengeld II bedeute konkret, so Barbara Stolterfoht, Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, dass künftig weitere 1,7 Millionen Menschen auf Sozialhilfeniveau leben müssten. Insgesamt würden dann in Deutschland 4,5 Millionen Menschen nur noch den Sozialhilfesatz bekommen. Darunter wären 1,5 Millionen Kinder – momentan sind „nur“ eine Million von der Sozialhilfe abhängig. Stolterfoht: „Die Agenda 2010 ist der massivste sozialpolitische Kahlschlag seit Bestehen der Bundesrepublik.“

Denn der Sozialhilfesatz sei inzwischen völlig unzureichend, um Armut zu verhindern. Im Gegenteil: „Sozialhilfe macht arm“, konstatierte gestern Stolterfoht, die einst als hessische SPD-Sozialministerin amtierte. Jahrelang sei der Sozialhilfesatz nicht an die realen Lebenshaltungskosten angepasst worden; inzwischen liege er sechs Prozent unter dem „gesellschaftlichen Mindestbedarf“, der zuletzt Anfang der Neunzigerjahre definiert wurde.

Etwa 3,5 Milliarden Euro werden demnächst bei den Langzeitarbeitslosen eingespart, wie die Bundesregierung ausgerechnet hat. Hartnäckig hält sich der öffentliche Eindruck, dies könnte die Lohnnebenkosten senken und dadurch den Arbeitsmarkt beleben. Stolterfoht wies daher nochmals darauf hin, dass Arbeitslosen- und Sozialhilfe aus Steuermitteln finanziert werden. „Die Streichung der Arbeitslosenhilfe schafft nicht einen einzigen Arbeitsplatz.“ Stattdessen könnte sie Jobs kosten, da die Ärmsten jeden Euro in Konsum umsetzten. Diese Kaufkraft werde nun reduziert.

Paritätischer Wohlfahrtsverband und Kinderschutzbund forderten, das Arbeitslosengeld II und das künftige Sozialgeld (Nachfolger der Sozialhilfe) um 16 Prozent anzuheben – dies entspräche ungefähr dem Durchschnittsniveau der jetzigen Arbeitslosenhilfe. Für Kinder soll es eine eigenständige Grundsicherung geben, denn sie „gehören weder aufs Sozialamt noch aufs Arbeitsamt“. Heinz Hilgers, Präsident des Kinderschutzbundes, schlug 300 Euro monatlich vor. So hoch sei schon jetzt die Steuerersparnis, die Spitzenverdiener durch den Kinderfreibetrag erfahren.

Inzwischen hat die Regierung ihre Agenda 2010 allerdings ein wenig nachgebessert. Für Geringverdienende soll es zusätzlich ein Kindergeld von bis zu 140 Euro monatlich geben. Stolterfoht „begrüßte“ dies „ausdrücklich“, allerdings sei diese Zusatzunterstützung nur für Beschäftigte mit Niedriglohn gedacht – Langzeitarbeitslose hingegen erhielten nur das Arbeitslosengeld II. Hilgers rechnete die Konsequenzen vor: „Erst werden 1,5 Millionen Kinder in die Armut geschickt und dann 150.000 wieder herausgeholt.“

Das größte Armutsrisiko tragen Alleinerziehende. Ab 2004 wird zudem ihr steuerlicher Haushaltsfreibetrag entfallen. Dies entspricht einer Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts. Finanzminister Hans Eichel (SPD) hat nun vorgeschlagen, bei Alleinerziehenden pro Kind einen monatlichen Zuschlag von 20 Euro zu zahlen. „Zu wenig“, monierte Hilgers gestern. Das würde die Steuermehrbelastung nur bei Alleinerziehenden kompensieren, die nicht mehr als 20.000 Euro jährlich verdienten.ULRIKE HERRMANN