„Der Mietermarkt ist eine Illusion“

Wohnungsleerstand bedeutet nicht die Aufgabe von Wohnungspolitik, meint Hartmann Vetter, der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins. Weil der Senat sich dieser Einsicht verweigert, hat sich Berlins oberster Mieterlobbyist nun mit den Gegnern von einst, den Hauseigentümern, zusammengetan

INTERVIEW UWE RADA

taz: Herr Vetter, ständig gibt es neue Meldungen über Einschränkungen im Mietrecht, die Abschaffung der Mietobergrenzen, Verkäufe von Wohnungsbaugesellschaften. Proteste dagegen finden nicht statt. Wird der Mieterverein nicht mehr gehört?

Hartmann Vetter: Natürlich protestieren wir gegen diese Politik, weil wir sie für kurzatmig halten. Die offizielle Meinung lautet, dass wir in Berlin nicht nur keine Wohnungsnot mehr haben, sondern ein Überangebot. 150.000 Wohnungen stehen leer, deshalb komme es darauf an, diesen Leerstand abzubauen, statt den Wohnungsmarkt weiterhin zu steuern. Das ist sehr auf den Tag bezogen. Leider findet eine Kritik an dieser Politik in der Öffentlichkeit nicht mehr statt.

Bei den Betroffenen aber auch nicht.

Das bedingt sich gegenseitig. Wenn jemand seine persönliche Situation als Not erlebt, wenn jemand eine Wohnung sucht und keine bezahlbare findet, dann ist das für ihn ein Einzelschicksal. Zumindest dann, wenn er nichts von anderen hört, denen es genauso geht. Früher hat das öffentliche Bewusstsein um diese Notlagen dazu geführt, dass sich die Leute zusammengeschlossen haben. Das findet heute nicht mehr statt. Es gibt eine Vereinzelung.

Sind das nicht tatsächlich Einzelschicksale?

Nein. Wir erleben immer wieder, dass der angebliche Mietermarkt eine Illusion ist. Natürlich gibt es den Leerstand. Aber Leerstand in Marzahn nutzt einer allein erziehenden Mutter, die in Wilmersdorf schulpflichtige Kinder hat, recht wenig. Sie braucht eine bezahlbare Wohnung in Wilmersdorf und nicht in Marzahn. Für diese Person ist der Wohnungsmarkt also kein Mietermarkt. Für sie besteht weiterhin ein Problem, dem man auch politisch gerecht werden muss.

Hat der Mangel an Protest nicht auch damit zu tun, dass die Betroffenen wissen, dass die öffentliche Hand heute nicht mehr so kann, wie sie gern wollte? Billige Mieten sind ja nicht umsonst zu haben, sondern über Sanierungs- und Modernisierungsprogramme des Landes in der Vergangenheit teuer erkauft worden. Dieses Geld ist nicht mehr da, das ist bei den Leuten angekommen.

Natürlich sind die öffentlichen Kassen leer. Nur ist die Förderung in der Vergangenheit auch eine Fehlförderung gewesen. Wir haben enorme Summen für den sozialen Wohnungsbau ausgegeben, ohne dass auf Dauer bezahlbarer Wohnraum entstanden wäre. Das lag an einem System, das darauf angelegt war, teuer zu bauen, teuer zu vermieten, und je teurer es war, desto mehr Profite konnten die Investoren einstreichen. Was wir heute an Millionären in der Stadt haben, rührt größtenteils aus dieser Zeit. Herr Klingbeil und andere sind solche Profiteure dieser verfehlten Wohnungsbaupolitik.

Aus Ihrer Sicht war der Stopp der Anschlussförderung im sozialen Wohnungsbau also richtig?

Er war richtig, weil das eine gigantische Umverteilung von unten nach oben war. Und das sogar mit öffentlichen Mitteln. Wir haben immer gesagt, dass das ein Fass ohne Boden ist. Insofern war es richtig, dieses Loch nicht mehr zu stopfen. Allerdings war der Ausstieg sehr abrupt. Wir wissen auch noch nicht, wie es weitergehen wird. Die juristische Auseinandersetzung ist ja noch nicht abgeschlossen.

Nun sind diese Fässer ohne Boden das eine. Es gibt aber auch andere Mietbegrenzungsinstrumente, die nichts kosten, zum Beispiel die Mietobergrenzen. Auch die wurden ohne größere Proteste abgeschafft.

Genau diese Instrumente, die nichts kosten, wurden von der Verwaltungsgerichtsbarkeit aufgehoben, in unseren Augen ohne Not und ohne tragfähige rechtliche Begründung. Das heißt aber auch, dass die gesetzlichen Grundlagen nicht ausreichen, da sie eine solche Rechtsprechung ermöglichen. Deswegen fordern wir auch, dass im Baugesetzbuch entsprechende Klarstellungen erfolgen. Die Kommune braucht Möglichkeiten, um bei Sanierungen die angestammte Bevölkerung vor Vertreibung zu schützen. Das kann nur über den Mietpreis passieren, also sind Mietobergrenzen nach wie vor richtig und wichtig.

Hat nicht auch der Mieterverein selbst an dieser Misere Schuld. In den Achtzigerjahren war Mieterpolitik immer auch Stadtentwicklungspolitik. Heute halten Sie sich aus diesen Debatten heraus.

Diese Architektur- und Stadtentwicklungsdebatten sind nicht unser Arbeitsfeld. Das ist die Wohnungspolitik und die Wohnungsversorgung. Und es ist das Mietrecht.

Wohnungspolitik allein ist offenbar nicht sexy genug, um die Leute zu mobilisieren.

Auch Wohnungspolitik hat mit der Stadt zu tun. Wenn wir die Wohnungen attraktiver machen, ziehen die Menschen weniger in die Peripherie. Dann gibt es weniger Verkehr, weniger Flächenverbrauch.

Mit Ihrer Initiative einer Bürgerbauausstellung versuchen Sie nun zusammen mit dem Haus- und Grundbesitzerverband das Thema Stadtumbau auch im Altbau zu besetzen. Was hat Sie zu diesem ungewöhnlichen Bündnis bewogen?

Ungewöhnliche Zeiten erfordern ungewöhnliche Bündnisse. Das Abgleiten ganzer Quartiere stellt ja nicht nur für die Eigentümer ein Problem dar, weil sie immer mehr Wohnungen nicht vermieten können, sondern auch für die Mieter, die dort nicht mehr wohnen können oder wollen. Wenn es mehr Verwahrlosung gibt, sind ja auch die Mieter gezwungen, sich eine andere Wohnung zu suchen. Das kostet sie letztendlich auch Geld. Ein funktionierendes Zusammenleben im Bestand ist also auch für die Mieter von Interesse. Deswegen ist es sinnvoll, wenn sich hier Hauseigentümer und Mieter zusammentun, um kleinteilige Gegenmaßnahmen einzuleiten, damit ein Bezirk nicht weiter umkippt und aufgegeben wird.

Ist der Berliner Mieterverein, der sich noch in den Achtzigerjahren für den Erhalt von Altbauten eingesetzt hat, damit zum Abrissverein geworden?

Im Gegenteil. Wir sind gerade für den Erhalt der Altbausubstanz. Wir wollen sie nur etwas auflockern, damit sie an Qualität gewinnt.

Damit nehmen Sie auch billige Wohnungen vom Markt.

Nicht unbedingt. Derzeit gibt es nicht nur erheblichen Leerstand in den Großsiedlungen, sondern auch im Altbaubereich. Auch hier sind viele Wohnungen einfach nicht mehr vermietbar. Feuchte, kalte, dunkle Hinterhofwohnungen müssen aber auch nicht mehr vermietet werden.

Fürchten Sie nicht, dass es mit der Aufwertung solcher Quartiere zu einer Verdrängung der weniger Betuchten kommt?

Die Frage ist, in welchem Maße diese Aufwertung stattfindet. Wenn das kleinteilig ist, sehe ich diese Folgen nicht. Ich will auch keine Luxusmodernisierung, sondern eine zeitgemäße Verbesserung. Das muss nicht viel kosten, ermöglicht aber die Identifikation der Bewohner mit dem Haus und dem Umfeld.

Warum kommen solche Diskussionen in Berlin so spät an? In Leipzig diskutiert man darüber schon seit fünf oder sechs Jahren.

Die Berliner Situation unterscheidet sich von anderen ostdeutschen Städten darin, dass wir solche enormen Bevölkerungsrückgänge nicht haben. Aus diesem Grund hat man sich lange Zeit nicht mit diesem Thema auseinander gesetzt. Nun merkt man aber, dass es in Teilräumen trotz einer stabilen Bevölkerungsentwicklung auch zu Schrumpfung kommt. Das heißt, wir kommen zwar spät, aber nicht zu spät.

Ist nicht ein Grund für diese Verzögerung, dass ein Senatsbaudirektor noch immer in Gutsherrenmanier Wachstumsplanung betreibt?

Die Fokussierung auf die Verdichtung hat die Stadtflucht nicht verhindert, im Gegenteil. Deswegen wollen wir nun mit unserer Bürgerbauausstellung unser Teil dazu beitragen, diese Entwicklung umzukehren.

Was ist das Ziel dieses Vorhabens? Ein Umdenkprozess? Oder glauben Sie, dass Sie damit auch Investitionsverhalten beeinflussen können?

Beides. Der Eigentümer muss erkennen, dass sein Haus nicht isoliert dasteht, sondern Teil eines Ganzen ist. Dass Mieter auch Kunden sind, um die er sich bemühen muss. Und er muss erkennen, dass entsprechend investiert wird. Nicht so, dass die Mieter vertrieben werden, sondern in Abstimmung mit ihnen. Beide haben in diesem Fall ein ähnliches Interesse.

Sind die Hauseigentümer denn bereit, die Mieter an solchen Maßnahmen zu beteiligen?

Das ist Teil des Konzepts.

Mieterverein und Hausbesitzer machen also eine Bauausstellung von unten gegen einen rot-roten Senat. Hätten Sie sich das vor einigen Jahren vorzustellen gewagt?

Wir freuen uns natürlich, wenn der Senat dieses Vorhaben unterstützt. Aber wir behalten es bei uns in der Hand.