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Archiv-Artikel

Warten auf Joschka

Der lange Marsch in die Mitte der Gesellschaft: Im Rahmen seiner Gastprofessur an der FU Berlin lud der Autor Feridun Zaimoglu auch den deutschen Außenminister ein. Doch der sagte kurzfristig ab

VON KOLJA MENSING

Für ein Uniseminar sind die Sicherheitsvorkehrungen etwas ungewöhnlich. In kleinen Gruppen werden die Studenten in den Anbau neben dem Institut geschleust und dann mit einem Metalldetektor abgetastet. Schuhe ausziehen, Hosentaschen leeren, den Schlüsselbund darf man ausnahmsweise behalten. „Aber nicht damit werfen.“ Das ist ein Witz, doch im Innern des vollbesetzten Großen Seminarraums am Dahlemer Hüttenweg ist dann Schluss mit der guten Laune: „Die Fenster bleiben zu.“ So ist das, wenn sich der Außenminister angemeldet hat.

Es ist die vorletzte Semesterwoche, und Feridun Zaimoglus Zeit als Samuel-Fischer-Gastprofessor am Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaften an der FU Berlin neigt sich dem Ende zu. „Literature to go“ war das Motto der Veranstaltungsreihe, und damit es „richtig geil wird“, hatte Zaimoglu die Gastprofessur in eine Talkshow verwandelt und Gäste eingeladen, die was hermachen: Albert Ostermaier, Maybrit Illner oder Benjamin von Stuckrad-Barre. Und heute eben Joschka Fischer. Für den Außenminister eine Routineübung, doch für Feridun Zaimoglu ein historischer Moment: Das Treffen steht am Ende seines langen Marschs durch die Institutionen der Mediengesellschaft. Näher kann man der Mitte nicht kommen.

Dabei begann Zaimoglus Geschichte am Rand. 1964 in Bolu in Anatolien geboren, wächst er in München in „Barackenverhältnissen“ auf, wie er später sagt. 1995 erscheint sein Debüt „Kanak Sprak“: Eigentlich sind es Interviews mit türkischen Jugendlichen und Jungmännern, die in Deutschland leben, aber Zaimoglu hat die Gespräche bearbeitet und aus dem gebrochenen Straßendeutsch der Einwanderer eine wuchtige Literatursprache gemeißelt.

Seine kämpferische „Kanakenchronik“, von „Kanak Sprak“ bis „Abschaum“, macht Feridun Zaimoglu bekannt. Das ist der Mainstream der Minderheiten: Zaimoglu lässt sich in Sportswear und mit Goldkettchen fotografieren, schreibt Kolumnen für die Zeit und gibt Interviews, in denen er die Perspektive des Migranten einnimmt: „Es ist mir doch scheißegal, wenn irgendwelche Pappnasen, die zu Amt und Würden gekommen sind und früher einmal kurz den Revoluzzer gemimt haben, sich heute als Lampenputzer hinstellen“, erklärt er damals mit einem deutlichen Seitenhieb in Richtung des geläuterten Steinewerfers Joschka Fischer: „They can kiss my ass!“

Doch irgendwann will Feridun Zaimoglu nicht länger den „Nischenlurch“ mimen, und geht zum Frontalangriff über. Als im Jahre 2002 sein Roman „German Amok“ erscheint, prügelt Zaimoglu erst einmal auf seine vermeintlich harmoniesüchtigen Kollegen ein: Unter den deutschen Schriftsteller, teilt er der Zeitschrift Max mit, habe sich ein „Hang zur Harmlosigkeit“ durchgesetzt: „Ich stelle mit Erschrecken fest, dass viele nichts daran finden, wenn sie zu Schröders Hofpoeten werden.“ Er selbst fühle sich durchaus berufen, „diese Puppenstubenatmosphäre“ durcheinander zu bringen. Doch daraus wird nichts. Und eigentlich ist Feridun Zaimoglu auch viel zu nett, um sich ständig herumzustreiten. Als Johannes B. Kerner ihn zum Talk lädt, lässt er sich sogar dazu überreden, vor laufender Kamera dem Rechtspopulisten Roland Koch die Hand zu geben.

Raus aus der Nische kommt Feridun Zaimoglu erst, als er im vergangenen Jahr mit seiner vergleichsweise konventionellen Erzählung „Häute“ den Ingeborg-Bachman-Wettbewerb gewinnt. Das Feuilleton entdeckt ihn als „echten Literaten“, und in der FAS bejubelt man ihn als „deutschen Dichter“. Jetzt fehlt ihm eigentlich nur noch der Adelsschlag durch genau die Politik, mit der er noch vor zwei Jahren nichts zu tun haben wollte. Und vielleicht hätte sich Feridun Zaimoglu an diesem milden Abend in Dahlem tatsächlich in den „deutschen Dichter“ verwandeln können, den manche in ihm sehen. Doch es kommt anders, zum Glück.

Die Sicherheitskräfte haben sich bereits diskret zurückgezogen, als Zaimoglu zerknirscht bekannt gibt, dass sein Stargast in letzter Minute abgesagt hat: „Joschka Fischer hat eine schwere Grippe.“ Die Journalisten zücken entnervt ihre Handys, während ein Mitglied aus dem Planungsstab des Auswärtigen Amtes Grüße des Ministers ausrichten lässt: „Joschka mag Feridun wirklich sehr!“ Die Studenten und Studentinnen brechen in Gelächter aus, und schließlich beginnt auch Feridun Zaimoglu erleichtert zu grinsen: Man könne ja trotzdem eine „geile Unterhaltung“ anfangen. Vielleicht ahnt er, dass er gerade noch einmal davongekommen ist.