■ Das Auto ist Sucht, Seuche und Massenvernichtungswaffe zugleich
: Spaß am Freitag auf dem Fahrrad

betr.: „Eigentlich sind wir ja mit dem Fahrrad da“ von Jan Feddersen, taz zwei vom 2. 7. 04

Selbst in der Hamburger Springer-Presse wird die Rolle des Autos mittlerweile kritischer gesehen, als Sie das tun, Herr Feddersen. Wer materiell privilegiert ist, fährt ohnehin Auto? Nein, denn Rad und Bahn fahren ist keine Qual, sondern bietet im Gegenteil viel mehr Unabhängigkeit und vor allem Bewegungsmöglichkeit als der kleine Kasten, in dem man andere nur noch als Autos wahrnimmt, nicht mehr als Menschen. […] AMREY DEPENAU, Hamburg

Ich freue mich, dass auch die taz die Segnungen des Autoverkehrs für die Innenstädte erkannt hat und dies mit dem gebührenden Enthusiasmus zum Ausdruck bringt. Warum aber schreibt der Autor nicht über das wunderbare Gefühl, das sich einstellt, wenn man in einem putzig schnurrenden, „etwas durstigen“ 500-PS-Geländewagen durch die Gassen braust und alle zur Seite springen müssen? Also bitte: Wenn schon, dann richtig, sonst muss ich doch weiter Auto-Bild und Motorwelt lesen. JÜRGEN SCHULZ, Nürnberg

Alles entwickelt sich von selbst weiter. Auch die Grünen. Niemand bleibt über die wahren Zusammenhänge in Unkenntnis. Jeder kann für sich lebenslang viel lernen, was dann auch der Gemeinschaft helfen kann. Es bedarf nur der Hinwendung zum Ganzen. Schrittweise …

Gewiss, wann es losgeht, auch ohne Zündschlüssel, hängt nur von einem selber ab … wenn man reif dafür ist.

OTTO NIEDERHAUSEN, Gyhum-Nartum

Die besten Wahlergebnisse haben die Grünen gerade in den Gebieten errungen, in denen es besonders wenige Autos gibt, nämlich in innerstädtischen Gebieten, die einen Anteil von über 50 % autofreien Haushalten haben.

Fast ein Viertel aller Haushalte in Deutschland hat kein Auto, in Städten über 500.000 Einwohner sogar ca. 40 %, in Berlin etwa 50 %. Seit einigen Jahren, zum ersten Mal in der Geschichte Deutschlands, geht die Verkehrsleistung des Automobils zurück. Eine Tatsache, die Jürgen Trittin, zu Recht, bemerkenswert findet.

Von diesem Personenkreis, den autofreien Haushalten, heben sich Grüne wie Rezzo (Auto-)Schlauch und Claudia Roth allerdings ab (auch schon rein gewichtsmäßig). Der unkritische Umgang von Rezzo (Auto-)Schlauch oder Claudia Roth mit dem Automobil freut zwar die Automobilindustrie, aber nicht die – immer noch – autokritischen Umweltverbände. Dies macht deutlich, dass sich die Grünen, als Partei, zwar der Spaßgesellschaft annähern, aber die bestehenden Probleme weitgehend ausblenden. Diese Probleme entstehen nämlich nicht nur aus dem Autoverkehr in Deutschland, sondern vor allem weltweit.

Die Klimaveränderung ist zwar der am stärksten beachtete Teilaspekt, und auf diesen bezieht sich Jan Feddersen wohl hauptsächlich, aber bei weitem nicht der problematischste. Hier sind zunächst 1,2 Millionen Verkehrstote pro Jahr zu nennen und eine unbekannte Zahl von Todesopfern aufgrund abgasbedingter Krankheiten (wahrscheinlich mehr als 2 Millionen pro Jahr). Allein die Verkehrstoten sind ein Vielfaches der jährlichen Todesopfer aufgrund von Krieg und Terror. Damit ist das Kfz die zurzeit tödlichste Technik, noch vor den Waffen.

Der Flächenverbrauch des Autos trägt schon jetzt, z. B. in China, mit dazu bei, dass die Erzeugung landwirtschaftlicher Produkte aus Flächenmangel nicht mehr für den Eigenbedarf ausreicht. China muss sich inzwischen auf dem Weltmarkt mit Nahrungsmitteln versorgen. Zum Nachteil der Hungernden, die mit steigenden Marktpreisen für Nahrungsmittel konfrontiert werden. Eine letzte Zahl noch: In vielen Ländern der „Dritten Welt“ werden mehr als fünfzig Prozent der Deviseneinnahmen für Kfz und Mineralölprodukte ausgegeben, z.B. in Haiti. Aus der Sicht von Jan Feddersen sollte dieser Anteil nun noch erhöht werden. Zumindest ich bin dagegen.

UDO SCHULDT, autofrei leben! Regionalgruppe Hamburg

Im wohlhabenden Europa sind die Straßenverkehrstoten das gesellschaftliche Problem Nr. 1. Es ist die häufigste Todesursache der unter 40-Jährigen (EU-Angaben). Die Unfallverletzungsrate von Kindern ist in Deutschland europaweit am höchsten (Statistisches Bundesamt). In unserem Land sterben allein durch Dieselruß jährlich 30.000 Menschen (UPI, Heidelberg). Nimmt man die unfall- und lärmbedingten Toten hinzu, kommt man auf 40.000. Seit 1900 starben weit über eine Millionen Menschen in Deutschland im Straßenverkehr. Fast 70 Millionen wurden verwundet, Abermillionen zu Krüppeln gefahren!

Das Auto ist Sucht, Seuche und Massenvernichtungswaffe zugleich. Daher ist es verständlich, dass taz-Autor Feddersen mehr Autos fordert. KLAUS GIETINGER, Frankfurt/Main

Das Auto, einzig wahrer Schlüssel zu Freiheit und multikultureller Erfahrung des „Fremden“? Mir scheint, dem Autor fehlt unter dem Stichwort „Interrail“ eine ganz grundlegende Erfahrung jungen und offenen Reisens, mit Bahn und Schiff durch Europa, direkt hinein in die Metropolen und das „andere“ Leben. […]

Bleibt als Quintessenz die These des Autors, dass Autofahren ein schöner und Freude bringender Teil unserer Spaßgesellschaft sei. Ehrlich gesagt erlebe ich auf dem Fahrrad genau das Gegenteil, wenn ich jede Woche freitags an dem von Aggression und Wut geprägten Berufsverkehrsstau in der Stadt vorbeiradle.

SILVAN REHBERGER, Freiburg/Breisgau

Egal, ob der Artikel zynisch gemeint ist – so wie ich ihn nur zu verstehen bereit bin, um mich nicht zu sehr ärgern zu müssen – oder nicht: Sehr gut getroffen sind die Gedankenlosigkeit und die Selbstzufriedenheit der Prosecco trinkenden Alternativklasse, allen voran der grünen PolitbonzInnen. Wo sind eigentlich all die Indianer hin?

CLAUS-UWE ERB, Garlitz

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