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Archiv-Artikel

Alle deutschen Wege führen nach Hannover

Vor genau einem Jahr läutete Kanzler Schröder den Wahlkampfendspurt ein – mit dem Spruch vom „deutschen Weg“. Damit war nicht nur die deutsche Kriegsgegnerschaft gemeint. Doch von der sozialen Attitüde ist wenig übrig geblieben

Auf Schröders Weg ist Amerika Rivale und die Agenda 2010 ein Schritt zu neuer Größe

HANNOVER taz ■ Während Gerhard Schröder seinen Heimaturlaub im hannoverschen Zooviertel ausklingen lässt, jährt sich jene Rede, mit der der Kanzler vor der Bundestagswahl seiner scheinbar schon auslaufenden Karriere noch die Wende gab. Heute genau vor 52 Wochen entdeckte Schröder beim SPD-Wahlkampfauftakt auf dem Opernplatz in Hannover „unseren deutschen Weg“. Mit dem unerwarteten Slogan, den er mit links und antiamerikanisch klingenden Inhalten unterlegte, läutete er die Aufholjagd ein, die ihm sieben Wochen später die zweite Kanzlerschaft bescherte.

Seinen „deutschen Weg“ oder sein „deutsches Modell“ hielt der Wahlkämpfer natürlich hinreichend im Vagen. Schließlich sollten viele Wähler Wünsche oder Ressentiments wiederfinden. Unzweifelhaft bestand er aber aus einem außen- und einem wirtschafts- und sozialpolitischen Element, und beide Male grenzte sich Schröder gefühlig von den USA ab: Wirtschaftlich sei Amerika kein Vorbild mehr, betonte der Kanzler. „Das Ausplündern kleiner Leute in den Vereinigten Staaten“, die sich „sorgen um ihre Altersversorgung machen müssen“, während Spitzenmanager nach Firmenpleiten „Millionen und Milliarden nach Haus tragen, das ist nicht der deutsche Weg“. Das deutsche Modell, das seien „selbstbewusste Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“ mit eigenen Rechten, die „den Leitungen auf gleicher Augenhöhe gegenübertreten“ könnten.

„Dieses Deutschland, unser Deutschland ist ein selbstbewusstes Land“, rief der Kanzler. Er warnte vor militärischen Interventionen „etwa im Irak“ und wollte den kommenden Krieg auch keineswegs bezahlen, wie Helmut Kohl den ersten Golfkrieg: „Für Abenteuer stehen wir nicht zur Verfügung und die Zeit der Scheckbuchdiplomatie ist endgültig zu Ende.“ Wie diese Worte den Nerv der Deutschen trafen, konnte man später am Bundestagswahlergebnis ablesen und auch an den Bestsellerlisten, auf denen amerikakritische Bücher ganz oben standen.

Den niedersächsischen Wählern wollte Schröder seine Kriegsgegnerschaft dann sogar doppelt verkaufen. Im Januar 2003, keine zwei Wochen vor der niedersächsischen Landtagswahl, spielte er zum zweiten Mal die Anti-Kriegs-Karte. Auf einer Wahlkampfveranstaltung in Goslar versicherte der Kanzler, dass „sich Deutschland unter meiner Führung an einer militärischen Intervention im Irak nicht beteiligen“ wird und schloss damit erstmals auch eine Beteiligung an einem vom UN-Sicherheitsrat gewollten Einsatz aus. Dieses i-Tüpfelchen konnte die niedersächsischen SPD allerdings nicht mehr vor dem Wahldebakel bewahren. Den Wahlkampf, dem der unglückliche Sigmar Gabriel keine landespolitische Note zu geben vermochte, bestimmte das „Steuervergünstigungsabbaugesetz“, gegen das nicht nur wirtschaftsliberale Medien mobil machten.

Schröder hat dann nach eigenen Worten am 14. März „endlich den richtigen Weg gefunden“. Der Kanzler präsentierte die „Agenda 2010“, die nun über die „Entlastung der Arbeitslosenversicherung“ und andere Kürzungen am untere Ende der Gesellschaft sparen will. Der Größe Deutschlands soll allerdings in den Augen des Kanzlers auch die Agenda dienen. Jedenfalls schlug Schröder im April bei der Eröffnung der Hannover-Messe einen großen Bogen vom Irakkrieg bis zur Agenda 2010. Beim Krieg trat er nun für „einen schnellen Sieg der Alliierten“ ein. Dann sagte er, was er als Agenda 2010 bezeichne, habe durchaus mit dem Thema Irakkrieg zu tun. Und er schwärmte von einer neuen größeren Rolle Deutschlands: „Wenn Deutschland seine Rolle in Europa und damit Europa seine Rolle in der Welt in dem gekennzeichneten Maße spielen will und soll, dann reicht es nicht aus, das nur zu wollen.“ Vielmehr müsse man das Land „ökonomisch instand setzen, auch die Kraft zu haben und sie diesem Europa mit zur Verfügung zu stellen, um diese Rolle realisieren zu können“.

Auf dem Weg, den Schröder gefunden hat, ist Amerika Rivale und die Agenda ein Mittel, um Deutschland und Europa fit für neue weltpolitische Größe zu machen. Nur die im Wahlkampf hoch gelobten „selbstbewussten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“ kommen nicht mehr vor. Will doch die Regierung mehr Arbeitszwang, Niedriglohnsektor, größere Einkommensspreizung durch einen geringeren Spitzensteuersatz – als wären gerade die exportschwachen USA wirtschaftspolitisch Vorbild. Dennoch zieht Schröder auch für die einfachen Leute immer noch gerne die deutsche Karte. Etwa, als er den Heimaturlaub Bild-schlagzeilenträchtig an die Stelle der Reise in das Deutschland demütigende Italien setzte. Er könne nicht im Ausland leben, weil ihm dort die deutsche Mentalität fehle, verriet der Kanzler kurz vor Urlaubsbeginn und beteuerte: „Wissen Sie, ich bin gern Deutscher.“ JÜRGEN VOGES