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Archiv-Artikel

„Newton hat die Paparazzi für ihre Frechheit geschätzt“

Helmut Newton hat auf der Klaviatur subtiler Provokation gespielt wie kein anderer, sagt Matthias Harder, der Kurator der Helmut Newton Stiftung

INTERVIEW MARC PESCHKE

taz: Herr Harder, lassen Sie uns über Ihre aktuelle Tätigkeit sprechen. Seit 2004 sind Sie Kurator der Helmut Newton Stiftung Berlin und damit ganz eng mit dem Schaffen Newtons verbunden. Was ist Helmut Newtons genuine Leistung in der Geschichte der Fotografie?

Matthias Harder: Helmut Newton ist über ein halbes Jahrhundert visuell dem Zeitgeist immer eine Nasenlänge voraus gewesen. Er schuf Ikonen auf drei wichtigen Feldern: dem Porträt, der Mode- und Aktfotografie. Kaum einer war – bis zum Ende – so zeitgenössisch und prägend für gleich mehrere nachfolgende Generationen. Zeit seines Lebens hat er auf der Klaviatur von subtiler Provokation und Klischeehinterfragung gespielt wie kein anderer. Als er starb, gab es Nachrufe in allen Medien weltweit, die für einen bedeutenden Staatsmann kaum geringer ausfallen. So bin ich in der privilegierten Lage, mit dem Nachlass eines wirklich bedeutenden Fotografen zu arbeiten, in dessen Archiv noch eine Menge Schätze zu bergen sind, die wir peu à peu in der nach ihm benannten Stiftung präsentieren – gelegentlich auch in Gegenüberstellung zum Werk anderer Fotografen. Und die letzten knapp fünf Jahre seit Gründung der Helmut Newton Stiftung waren mit mehr als einer halben Million Besuchern und einer außerordentlich breiten Medienresonanz eine wahre Erfolgsgeschichte. Ein solcher Erfolg in Berlin, in Kooperation mit dem Preußischen Kulturbesitz, war und ist nur mit Helmut Newton möglich.

Die aktuelle Ausstellung „Fired“ widmet sich ganz Newtons Werk. Zu sehen sind Fotografien, die nach Newtons „Rauswurf“ bei der französischen Vogue im Jahr 1964 entstanden sind. Diese Bilder sind nur wenig bekannt, oder?

Diese Modebilder wurden seinerzeit nur in den Magazinen Elle, Nova, Queen oder Marie Claire veröffentlicht und werden jetzt erstmals musealisiert. Insofern sind die Bilder für die meisten von uns ebenso unbekannt wie der genaue Werdegang des Modefotografen Helmut Newton. Normalerweise wird er stets mit der Vogue und insbesondere mit der französischen Ausgabe in Verbindung gebracht. Tatsächlich hat er auch für viele andere Frauen- und Publikumsmagazine redaktionell gearbeitet und seine stets ungewöhnliche Bildsprache auf diese Weise einem Millionenpublikum bekannt gemacht.

Was macht den Reiz der Ausstellung aus?

Mit Blick auf diese Modebilder wird der Zeitgeist der Sechziger- und Siebzigerjahre sehr gut sichtbar – und überdies das Fasziniertsein Newtons von starken Frauen. Sein Sockel für die Frauen besteht nicht mehr wie in der früheren Modefotografie aus Galanterie, sondern aus weiblichem Selbstbewusstsein. Es sind witzige und hintersinnige Fotos, mit denen er medienreflexiv auch Fernsehmonitore oder die Mondbegeisterung nach 1969 ins Modebild hineinschummelte und so den Zeitgeist kommentierte. Die Mode selbst wird marginalisiert und andererseits selbstbewusst-selbstironisch inszeniert.

Eine ziemlich spektakuläre Ausstellung der Helmut Newton Stiftung war die von Ihnen kuratierte Schau „Pigozzi and the Paparazzi“. Zu sehen waren Vorläufer wie Hauptvertreter der „klassischen“ Zeit der Paparazzi-Fotografie. Was unterscheidet die alten Bad Boys von den jungen?

Auf den ersten Blick gibt es große Unterschiede, insbesondere im Auftreten dieser Fotografen Aber bereits in den 1960er- und 1970er-Jahren, also der „klassischen“ Zeit, waren nicht alle solche Gentlemen wie Erich Salomon im Berlin der 1930er-Jahre – und heute ist alles noch viel schlimmer geworden. In der Ausstellungskonzeption haben wir auf kompromittierende Bilder und auf die zeitgenössischen Paparazzi-Schnappschüsse verzichtet. Wenn man die sehen will, braucht man am Kiosk bloß die entsprechenden Zeitschriften zu kaufen. Ironischerweise hatte Vanity Fair unserer Ausstellung eine Titelgeschichte gewidmet, allerdings nicht mit unseren Pressebildern illustriert, sondern mit anderen Agenturbildern bis hin zur kahlköpfigen Britney Spears, die ja bei uns ganz bewusst fehlte. Mit der Ausstellung haben wir die Besucher auf eine Zeitreise ins Starleben und seine Entmythisierung geschickt und eine starke internationale Presseresonanz bekommen. Überraschenderweise gab es keinen Kurator und keine andere Institution, die eine Überblicksausstellung in dieser Größenordnung vorher realisiert hat – dabei liegt das Thema auf der Hand. Und zu uns passte die Ausstellung insofern auch sehr gut, als Newton die Paparazzi aufgrund ihrer Schnelligkeit, Frechheit und Beharrlichkeit geschätzt und seit den 1970ern immer wieder auch in die eigenen Modebilder als Staffagefiguren integriert hat.

Sie haben als Kunsthistoriker über ein fotohistorisches Thema promoviert. Für Ihre Arbeit über „Griechische Tempelarchitektur als fotografische Inszenierung“ wurden Sie mit dem Dr.-Erich-Stenger-Preis der Deutschen Gesellschaft für Fotografie ausgezeichnet. Was hat Sie an diesem Thema fasziniert?

Ich liebe Griechenland, und zur Recherche konnte und musste ich immer wieder hinfahren. Die Beschäftigung mit dem Thema mündete schließlich in eine Art Musteruntersuchung zur fotografischen Antikenrezeption. Als ich 1994 ein fotohistorisches Thema für meine Magisterarbeit wählte, war dies noch etwas exotisch. Doch es war für mich konsequent, auch anschließend dabeizubleiben und in einer Verbindung meines Nebenfachs „Klassische Archäologie“ mit Fotografie eine Dissertation im Fach Kunstgeschichte anzuhängen. Der Zufall wollte es, dass ich ab 1995 gemeinsam mit Max Scheler das Herbert-List-Archiv aufgearbeitet habe, insbesondere den Bereich Griechenland, was einerseits zur retrospektiven Ausstellung von List in München und andererseits zur Doktorarbeit führte. In einer Gegenüberstellung der beiden bedeutenden deutschen Fotografen Walter Hege und Herbert List im Hinblick auf ihre Antikenrezeption wird ein unterschiedlicher ästhetischer und geistesgeschichtlicher Kontext deutlich, historisch gesehen zwischen Philhellenismus und der deutschen Besetzung Griechenlands durch die Nazis. Diese Entwicklung lässt sich auch in der Griechenlandfotografie ablesen.

Sie haben in den vergangenen Jahren viele Ausstellungen kuratiert, unter anderem für die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst, den Neuen Berliner Kunstverein oder den Martin-Gropius-Bau. Was war Ihr bisher faszinierendstes Ausstellungsprojekt?

Es ist schwierig, einzelne Ausstellungsprojekte als besonders faszinierend herauszuheben, wenn auch das eine mit mehr Herzblut verbunden ist und das andere eher pragmatisch zu Ende geführt wird. Einige größere, langfristige Projekte waren eine große Herausforderung, etwa die Retrospektiven auf List und Moses für das Münchner Stadtmuseum, die anschließend auch um die Welt tourten. Andere Ausstellungen wiederum organisierten sich gewissermaßen von selbst, wie „Portrait: Berlin“ in Tokio und später in Washington, Krakau oder Genua. Faszinierend ist in diesem Zusammenhang auch, dass sich manches als absolutes Low-Bugdet-Projekt realisieren lässt.

Seit dem Jahr 2000 hatten Sie einen Werkvertrag zur Sichtung der fotografischen Bestände innerhalb der Museen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, dann folgte die Stelle als Leiter des Palais für aktuelle Kunst in Glückstadt, außerdem lehren Sie an der Freien Universität Berlin und schreiben für Kunstmagazine. Viele Dinge passieren bei Ihnen gleichzeitig. Macht das gerade den Reiz Ihrer Arbeit aus?

Ja, all dies geschah gleichzeitig. Und es birgt noch immer einen gewissen Reiz, aber seit nunmehr fünf Jahren bin ich ja mehr oder weniger in festen Händen – das lässt nur noch wenige andere kuratorische Projekte parallel zu. Aber Texte über Fotografie schreiben kann man ja auch nachts oder im Zug. Und die Themen gehen einem nie aus, wie ich merke, wenn man sich intensiv mit dem Medium beschäftigt.

Ein anderes wichtiges Ihrer Ausstellungsprojekte war sicher die Schau „Stille. Dirk Reinartz und Schüler“, die von Ihnen gemeinsam mit Christiane Gehner kuratiert wurde. Was ist das, die „Stille“, im Werk von Dirk Reinartz?

Es ist eine gewisse Unaufgeregtheit, die ihn auch persönlich ausgezeichnet hat. Eine Ruhe mit Tiefgang, ein sachlich-sezierender, aber nicht hoffnungsloser Blick auf Deutschland und deutsche Themen. Dies haben auch seine Schüler beherzigt, jedoch ohne jegliches Epigonentum. Mit dieser Ausstellung konnten wir, so glaube ich, nicht nur aufzeigen, dass Dirk ein wirklich bedeutender deutscher Fotograf war – sondern auch, was für ein guter und einfühlsamer Lehrer er war.

In einer Rede haben Sie einmal das Problem des Epigonentums in der aktuellen Fotografie angesprochen – jene „zweidimensionale, großformatige, abbildungsgenaue und nette Fotografie im Gefolge der Becher- und sonstiger Schulen“. Ist das Medium der Fotografie besonders anfällig für ein solches Epigonentum?

Es scheint fast so. In der Malerei verfolge ich allerdings einen ähnlichen Trend im Gefolge der sogenannten Neuen Leipziger Schule. Durch eine recht smarte Vermarktung einiger deutscher Galeristen sind amerikanische Sammler gut eingedeckt worden mit den Werken junger deutscher Maler. In der zeitgenössischen chinesischen Kunst scheint es mir ähnlich zu sein, aber auf diesem Feld kenne ich mich zu wenig aus. Doch es gibt neben all der epigonalen Fotografie, die man auf dem Kunstmarkt antrifft, ja auch immer wieder fantastische Entdeckungen.

Verraten Sie schon etwas über Ihre anstehenden Projekte?

Im Sommer steht wieder der Ausstellungswechsel in der Newton Stiftung an. Wir präsentieren alle Bilder des „SUMO“-Buches, das vor zehn Jahren das wohl ambitionierteste und verrückteste Fotobuchprojekt aller Zeiten war. Nun erstmals auch museal präsentiert und begleitet von einer verkleinerten Ausgabe des Buches, die sich dann viele Menschen leisten können. Und ich persönlich plane für dieses Jahr an anderen Orten auch etwas zum Thema Mauerfall, eine Ausstellung über die deutschamerikanische Fotografin Vera Mercer und eine erste kleine Retrospektive auf das Werk von Max Scheler. Jeweils mit begleitendem Katalogbuch.

„Helmut Newton – Fired“. Noch bis 17. Mai, Helmut Newton Stiftung, Jebensstraße 2. Di. bis So. 10 bis 18 Uhr, Do. 10 bis 22 Uhr