Die Manufaktur des Meisters

Er war nicht allein: Das Museum für Film und Fernsehen zeigt eine Schau über „Alfred Hitchcock und seine Werkstatt“

Den Regisseur Alfred Hitchcock kennt jeder, aber wem sagen die Namen Dorothy Holt, Robert Boyle, Thomas Wright oder Harold Michelson etwas? Dass sie alle wunderbar zeichnen können, Räume und Stimmungen visualisieren, Bewegungen des Auges und der Personen vorwegnehmen, ist das Erste, was man in der Ausstellung „Casting a Shadow – Alfred Hitchcock und seine Werkstatt“ im Film- und Fernsehmuseum am Potsdamer Platz sieht.

Es sind oft nur wenige Sekunden Film, denen das ausgebreitete Material gilt: Angefangen mit Aufzeichnungen der schleppenden Stimme Hitchcocks in einem Gespräch mit Drehbuch- und Dialogautoren über Diagramme, die Kameraposition und Winkel festhalten, und Storyboards, die detailliert die Auflösung einer Sequenz in Einstellungen vorwegnehmen, bis zu den äußerst suggestiven Kohlezeichnungen und Aquarellen der Setdesigner. So erhält man, obwohl der Raum der Ausstellung sehr begrenzt ist, doch einen sehr dichten Eindruck von der genauen Planung Hitchcocks und der Teamarbeit, die in seine Filme hineinfloss.

Robert Boyle und Dorothy Holt etwa gehörten zu den Produktionsdesignern für „Shadow of a Doubt“ von 1943. Eine dunkel-dramatische, großformatige Zeichenserie von Holt gilt den Momenten, als das Mädchen Charlie zu ahnen beginnt, wer der Mörder ist. Da verraten nicht nur ihr Gang und ihre Mimik Unruhe, Schrecken und Anspannung, sondern auch ein windzerzauster Drive. Bereits in Holts Zeichnungen hat er von Charlies Haaren und ihrem Rock, von den Ästen der Bäume und den Schatten an ihrem Weg Besitz ergriffen. Ein Bildschirm neben den Zeichnungen zeigt den entsprechenden Filmausschnitt. Und plötzlich sieht man, wie die ganze Geschichte in jeder Einstellung enthalten ist, wie zielgerichtet die Bilder ineinandergreifen, wie Bewegung im Raum und Emotionen in ihrer Dynamik aufeinander bezogen komponiert sind. Und man würde gerne noch viel mehr von diesen Zeichnungen sehen, die eben nicht von der gleichen Flüchtigkeit wie das Filmbild sind, aber dennoch von seiner Spannung erzählen.

Von einem anderen Charakter sind dagegen die Zeichnungen von Harold Michelson und dem Kameramann Thomas Wright für „Die Vögel“, sie sind eher technisch instruktiv. Michelsons Storyboard mit mehreren Bildfenstern auf einem Blatt enthält vor allem Informationen für die Organisation des Drehs; es ist die erste Visualisierung nach einer Shotlist, die Hitchcock geschrieben hat, eine Liste von Kamerabewegungen, Einstellungsgrößen, Blickwinkeln. Von Wright kommen Zeichnungen hinzu, die das Set von oben darstellen, mit eingezeichneten Wegen für Kamera und Darsteller.

Alle diese unterschiedlichen Formen der Vorbereitung einer Szene sind mehr als nur die bloße Abarbeitung eines Plans; sie dokumentieren vielmehr das immer genauere Einstellen aller Instrumente aufeinander, das nur gemeinsam ging. Auch Schauspieler erzählen von der Zusammenarbeit mit Hitchcock: Wie er ihnen beibrachte, sich selbst mit den Augen des Zuschauers wahrzunehmen und diesen sehen zu lassen, was sie erleben. Ein spektakuläre Autofahrt aus dem Film „Das Familiengrab“ (1975) dient als Anschauungsmaterial, in einem Storyboard auch wieder von Thomas Wright gezeichnet.

Kostüme, Musik, Titel, Trailer: Von allem erzählt die Ausstellung, die vom Mary and Leigh Block Museum of Art der Northwestern University in Illinois kommt, in kleinen Kapiteln. Die Deutsche Kinemathek hat sie um ein Kapitel erweitert, das von Hitchcocks Anfängen, als Regieassistent und Ausstatter, 1925 in den Ufa-Studios Babelsberg erzählt. Und die Schau endet mit einem Zusammenschnitt seiner Auftritte im deutschen Fernsehen, die heute als medienhistorisches Dokument sehr eigen anmuten. Im „Frankfurter Stammtisch“ von 1966 (HR) saß der Regisseur, der gut Deutsch sprach, mit dem Autor Curt Riess, dem Journalisten Richard Kim und dem Production Designer Hein Heckroth zusammen und erklärte die Geheimnisse seiner Kunst. Heute wirkt diese Herrenrunde ausgesprochen bildungsbürgerlich ambitioniert und zugleich sehr smart. Sie fachsimpeln sozusagen auf Augenhöhe.

Das eben ist das Schöne an dieser Ausstellung: dass sie nicht an der monolithischen Aura des Genies weiterbaut, sondern tatsächlich in eine Werkstatt leuchtet; und gerade weil sie daraus immer nur eine Ecke zeigt und an einer einzige Szene exemplarisch zeigt, was dort geschah, ahnen lässt, wie groß die ganze Maschinerie war.

KATRIN BETTINA MÜLLER

Museum für Film und Fernsehen, Potsdamer Str. 2, Di.–So. 10 bis 18 Uhr, Do. 10 bis 20 Uhr, bis 10. Mai