: Rückkehr vom anderen Ende der Welt
Mit Deutschland wollten Helmut Heydt und Ellen Bendix nach dem Krieg nichts mehr zu tun haben. Sie gehören zu einer Gruppe ehemaliger jüdischer Kölnerinnen und Kölner, die ihre Heimatstadt besuchen – und sich an die Zeit ihrer Vertreibung erinnern
Von Pascal Beucker
Helmut Heydt erinnert sich nur noch dunkel an sein Leben in der Domstadt. Gerade sieben Jahre war er alt, als er von hier flüchten musste. Wenn er deutsch spricht, ist sein kölscher Akzent unüberhörbar. Aber er spricht nicht mehr gerne deutsch. Der Reisebus fährt gerade durch Sülz, da schaut Heydt plötzlich auf. „Berrenrather Straße 383 – hier habe ich gewohnt“, sagt er mit traurigem Blick.
1936 verließ Helmut Heydt zusammen mit seiner Mutter Köln. Sein Vater war schon im Jahr zuvor emigriert. In einem Reisebüro in der Nähe des Doms habe er die Tickets für sich und seine Familie nach Südafrika gebucht, erinnert sich Heydt. Warum nach Südafrika? Das sei eine pragmatische Entscheidung des Vaters gewesen: „Er ging in das Reisebüro und bat, ihm ein Land auszusuchen, das so weit weg von Deutschland ist wie möglich.“
75 Jahre ist Helmut Heydt heute alt. Er lebt noch immer in Südafrika. Mit seinen Kindern hat er nie über seine Kölner Zeit gesprochen. Ob er je an Rückkehr gedacht habe? „Das hat ja alles eine schlechte Erinnerung. Warum soll man zurückkehren?“
Jetzt ist Heydt zurückgekehrt. Zum ersten Mal seit 68 Jahren. Wenn auch nur für neun Tage. Er ist einer jener ehemaligen jüdischen Kölnerinnen und Kölner, die noch bis Mittwoch auf Einladung der Stadt ihre alte Heimat besuchen. Manche haben ihren Sohn oder ihre Tochter mitgebracht, eine ihre Enkelin. Die Gruppe zählt insgesamt sechzehn Menschen. Ihre Lebensgeschichten sind bewegende Geschichten, jede lohnte sich, erzählt zu werden.
Ellen Bendix steht vor der Synagoge in der Roonstraße. „In die bin ich als kleines Kind gegangen“, erinnert sie sich. „Aber damals war das noch eine liberale Synagoge.“ Damals gab es noch sechs Synagogen in Köln.
Bis zur „Reichskristallnacht“. Danach nicht mehr. Die konservative in der Glockengasse und die liberale Synagoge in der Roonstraße brannten aus, die konservative in der St. Apern-Straße wurde demoliert, die Synagogen in den Vororten Deutz und Mülheim verwüstet, die in Ehrenfeld niedergebrannt.
Bei dem Pogrom vom November 1938 zersplitterten auch die Scheiben des Schreibwarenladens der Eltern von Ellen Bendix am Marsilstein. Da wurde auch ihnen klar, dass es Zeit war, das Land zu verlassen. Das hatten sie lange nicht wahrhaben wollen. „Sie haben gedacht, sie bräuchten nicht weg“, erzählt Ellen Bendix. Schließlich war ja nur ihre Mutter jüdischen Glaubens. Ihr Vater Heinz Flögerhöver hingegen, in seinen jungen Jahren als Harfenist am Hof von Kaiser Wilhelm II., sei ein „richtiger Preuße“ gewesen. „Meine Eltern haben gewartet, bis es fast zu spät war.“ Erst 1939 verließen sie Deutschland. Ellen Bendix und ihre Eltern überlebten in Belgien, ihre eineinhalb Jahre ältere Schwester in England. Sie sahen sich erst nach dem Krieg wieder. „Aber wir haben uns wiedergesehen, was viele Leute nicht mehr konnten“, sagt Ellen Bendix.
Bei der Volkszählung 1933 bekannten sich noch 15.000 Kölnerinnen und Kölner zum Judentum. Im Mai 1939, wenige Monate vor Kriegsbeginn, mit dem die Auswanderung bis auf Einzelfälle zum Erliegen kam, lebten noch 8.000 so genannte „Glaubensjuden“ in Köln. Die Mehrzahl von ihnen überlebte das Dritte Reich nicht. Auch aus der Besuchergruppe der heute in Israel, Südafrika oder den USA lebenden Ex-KölnerInnen hat jede/r nähere Angehörige verloren. Als die US-Truppen am 6. März 1945 Köln befreiten, kamen nur etwa vierzig jüdische Menschen aus ihren Verstecken.
1999 besuchte Ellen Bendix zum ersten Mal wieder Köln. „Mit gemischten Gefühlen.“ Und mit ihrem jüngsten Sohn. „Ich wollte ihm zeigen, wo ich gewohnt, wo ich gespielt habe.“ Diesmal begleitet sie Bob, ihr zweiter Sohn. Schon früh hatte die 79-Jährige, die heute in Mahopac in der Nähe New Yorks wohnt, mit ihren drei Söhnen über ihre alte Heimat gesprochen. „Ich habe ihnen alles erzählt, was zu erzählen war – aber nur, wenn mein Mann nicht dabei war.“ In seinem Beisein hätte nicht über das Thema gesprochen werden dürfen.
Ihr Mann stammte aus Berlin und überlebte die Nazi-Zeit in England. Kennen gelernt hatten sich die beiden in den USA – über eine Annonce in der deutsch-jüdischen Zeitung Aufbau. Ihre Ehe hielt 45 Jahre – bis zu seinem Tod Ende der 1990er Jahre. Er hat Deutschland nie wieder gesehen.