Wirtschaftsbosse träumen vom Lohndumping

Wirtschaftsvertreter plädieren für den Standort NRW – und niedrigere Löhne. SPD-Ministerpräsident Steinbrück ratlos

DÜSSELDORF taz ■ Die Sorgen um die Osterweiterung der Europäischen Union (EU) sind nach Meinung führender nordrhein-westfälischer Wirtschaftsvertreter übertrieben. Der wachsende Markt in Osteuropa biete vielmehr viele neue Chancen, betonten sie beim zweiten „Düsseldorfer Sommergespräch“ der Bezirksregierung. Seit Jahren schon werde in Osteuropa investiert – und das mit großen Gewinnen.

Ministerpräsident Peer Steinbrück (SPD) reihte sich zunächst bei den Optimisten ein: Natürlich sei es richtig, neue Märkte zu erschließen und Kontakt zu den neuen EU-Ländern zu pflegen. Richtig wütend mache ihn aber, dass die Rahmenbedingungen so verschieden seien: „Das geht nicht, dass in Osteuropa die Körperschaftssteuer teilweise bei fast Null Prozent liegt, während wir hier bei 25 Prozent angelangt sind.“ Dabei sei Deutschland und damit auch NRW der größte Nettoeinzahler in die Europäische Union. Steinbrück forderte deshalb eine Harmonisierung der Steuersysteme: Der Osten müsse auch einzahlen, schließlich sei jedes EU-Land Mitglied im gleichen Club. Ratlos gab sich der Regierungschef dagegen bei den Lohnkosten: „Da können wir nicht konkurrieren.“

Die Arbeitnehmer verdienten zu viel, kritisierte auch Stefan Kirsten, Finanzvorstand bei ThyssenKrupp: In NRW müsse sein Unternehmen mit über 30 Euro pro Arbeitsstunde rechnen, während in Lettland zwei bis drei Euro üblich seien. Thomas Schlenz vom ThyssenKrupp-Betriebsrat warnte dagegen vor Sozialdumping in einfachen Jobs. Mit dem Argument der Lohnkosten habe Siemens Bereiche nach Ungarn verlagert: Ansonsten seien die Produktionskosten dort viel höher gewesen. Unterstützung kam von Degussa-Vorstand Utz-Hellmuth Felcht: „In der Chemie sind wir in Deutschland sehr flexibel geworden.“

Überhaupt schien Flexibilität das Zauberwort Aller zu sein: Mehr arbeiten und weniger Lohn bekommen, ähnlich wie bei Siemens. Ausgerechnet der beamtete Regierungspräsident Jürgen Büssow forderte sogar eine gezielte Ausweitung des Niedriglohnsektors.

In NRW bleiben wollen die Konzernbosse aber doch – ausgerechnet wegen des hohe Ausbildungsniveaus der Mitarbeiter. Hier habe man immer noch einen Technologievorsprung und gute Nachwuchskräfte, sagte Udo Hinsche, Sprecher von Siemens Düsseldorf. „Damit dies auch so bleibt“, pflichtete Thomas Geitner von Vodafone bei, „muss auf die Bildung gesetzt werden.“ CHRISTIAN VATTER