piwik no script img

Archiv-Artikel

Ein Theaterskandal ist keine Katastrophe

Kann man kulturelle Entwicklung planen? In Osnabrück hat Siegfried Hummel vor knapp 30 Jahren den bundesweit ersten Kulturentwicklungsplan vorgelegt. Als Kulturdezernent prägte er die Stadt und lockte die Szene an. Heute bedauert er, dass häufig der Wagemut der Coolness gewichen ist

taz: Sie haben in Ihrer ersten Zeit in Osnabrück den allerersten Kulturentwicklungsplan erstellt…

Siegfried Hummel: …mit anderen zusammen. Da war vor allem der damalige Kulturamtsleiter Reinhard Richter; wir haben den Entwicklungsplan gemeinsam geschrieben. Der ehemalige Oberstadtdirektor Dr. Wimmer meinte, wir haben Pläne für alles Mögliche, für Wasserwirtschaft, Sozialhilfe und so weiter, wieso eigentlich nicht für Kultur. Die eine Seite des Stadtrats sagte, Kultur kann man nicht planen, und wenn man es dennoch täte, würde man sie ver-planen. Die andere Seite sagte, probieren wir‘s mal. Das Ergebnis war dann für die damalige Zeit zufrieden stellend.

Braucht eine Stadt in der Größe von Osnabrück überhaupt einen Kulturentwicklungsplan?

Man kann in mittleren Großstädten einen solchen Plan sehr gut machen, weil die Bevölkerung dann erfährt, was die Stadt beabsichtigt und zwar zehn Jahre im Voraus. Wenn der Stadtrat den Orientierungsrahmen für seine Kulturpolitik beschließt, können die Bürger immer wieder darauf verweisen, dass dieser nur teilweise oder unvollständig umgesetzt worden ist. Das Ergebnis dieses Diskurses der Bevölkerung mit den Politikern war, dass am Ende weit mehr realisiert worden ist, als im Kulturentwicklungsplan stand. Er hat sich also sehr gelohnt.

Stört es Sie nicht, immer wieder Kultur wirtschaftlich begründen zu müssen?

Das stört mich nicht, denn es gibt unter anderem eine Studie von Mortier über die wirtschaftliche Bedeutung der Salzburger Festspiele. Diese müsste Politiker dazu veranlassen, Geld zusammenzukratzen, um es in den Kulturbereich zu stecken. Denn die Umwegrentabilität von Kulturausgaben ist unglaublich hoch: Die Mortier-Studie stellte fest, dass aus einem Euro, der für Kultur ausgegeben wird, im Wirtschaftsrundlauf 4,2 Euro werden.

Ist es da nicht ein Witz, wenn zum Beispiel Hamburg gerade einmal 2,3 Prozent seines Haushaltes in die Kultur steckt?

Mir gefällt dieser ständige hanseatische Großton, der von Hamburg kommt, schon lange nicht mehr. Eine solche glänzende Weltstadt hätte die Verpflichtung, den anderen deutschen Städten vorzuführen, welche zentrale Rolle Kultur in den Umbruchzeiten unserer Gesellschaft hat. Was ich vermisse, ist die Empathie für das Kulturelle. Was ich bedauere, ist immer diese abgehobene Distance, die zwar cool wirkt, aber das Engagement für Ungewöhnliches und ganz Außergewöhnliches vermissen lässt. Und daher ist es schon sehr bedauerlich, dass dem Intendanten des Schauspielhauses nicht längere Zeit die Chance gegeben wurde zu zeigen, wie man dieses große Theater erfolgreich bespielen kann.

Sie waren für die Kultur in Osnabrück elf Jahre lang zuständig. Wie haben Sie aus Osnabrück eine Kulturstadt gemacht?

Wir haben neue Leute hier hergelockt, wie zum Beispiel den Theaterintendanten Erdmut August. Dieser kam, weil er dem Plan entnahm, dass ein Theaterskandal keine Katastrophe ist, sondern ein Zeichen für ein lebendiges Theater sein kann.

Und wurde das Theaterleben lebendiger?

Ja. Damals war es so wie heute: Die Älteren gingen ins Theater und die Jüngeren kamen viel zu selten. August brachte es fertig, dass die Jungen, vor allem die Studenten, auch ins Theater kamen, die Alten aber nicht wegblieben. Obwohl sie unzufrieden waren, mit diesem sehr juvenilen Spielplan. Als Bildungsbürger waren sie es gewohnt, auf ihrem Abonnement zu beharren. Dadurch, dass die Jüngeren aber nun hinzukamen, hatten wir trotz des Theaterstreites höhere Auslastungszahlen. August und sein Team haben es sogar geschafft, das Musiktheater so umzugestalten, dass beide Generationen am Ende zufrieden waren. Dieses war die lebendigste Theaterzeit, die ich jemals erlebte.

Interview: Heiko Ostendorf