Charité baut Ethik am Fließband

Mitglied der Charité-Ethikkommission kritisiert das Gremium scharf: Beschlüsse über Studien an Menschen würden zu schnell durchgewinkt. Kommission sei oft unterbesetzt und nicht beschlussfähig

VON SABINE AM ORDE

Gegen die Ethikkommission der Charité hat ein Mitglied schwere Vorwürfe erhoben: „Die erforderliche Prüfung der Forschungsvorhaben durch die Ethikkommission erfolgt nicht“, heißt es in einem Brief an den Vorsitzenden der Kommission, den Kardiologie-Professor Hermann Eichstädt, der der taz vorliegt. Aufgabe der Kommission ist, Testreihen zu prüfen, bei denen an Menschen geforscht wird.

Patienten, die an medizinischen Studien teilnehmen, so das Schreiben weiter, könnten sich nicht darauf verlassen, „dass die Forschung an der Charité, Campus Virchow-Klinikum unter Einhaltung der einschlägigen Gesetze und unter Beachtung ethischer Grundwerte erfolgt“. Geschrieben hat den Brief Karin Köppen, die als Vertreterin des Berliner Forums Patienteninteressen (BFP) der Ethikkommission angehört. Sie hat mit sofortiger Wirkung ihre Arbeit in dem Gremium niedergelegt, bis die Missstände behoben sind.

Ethikkommissionen gibt es an den vier Standorten der Universitätsmedizin und bei der Berliner Ärztekammer. In den meisten Studien, die ihnen vorgelegt werden müssen, werden neue Medikamente erprobt. Die Kommissionen prüfen u. a., ob die Studien medizinischen Nutzen hervorbringen können und ob die Patienten so über Risiken des Versuchs informiert werden, dass sie kompetent über eine Teilnahme entscheiden können. Neben Hochschulmitgliedern gehören den Kommissionen auch medizinische Laien an, am Campus Rudolf Virchow sind das zwei von 22 Mitgliedern. Karin Köppen ist eine von ihnen.

Sie kritisiert vor allem zweierlei: Zum einen seien die Sitzungen der Kommission, die zweiwöchentlich tagt, derart mit Anträgen vollgestopft, dass eine ausreichende Prüfung unmöglich sei. In einer Sitzung, die meist zwischen drei und vier Stunden dauert, werden nach ihren Angaben bis zu 15 Anträge beraten. „Ich bin davon überzeugt, dass mehr als fünf Anträge pro Sitzung nicht zu bewerten sind“, schreibt Köppen in ihrem Brief. Zum zweiten, so die Patientenvertreterin weiter, seien häufig weniger als sieben Mitglieder anwesend. Dann ist die Kommission eigentlich nicht beschlussfähig. Um eine Entscheidung herbeizuführen, so Köppen, würden dann einige der nicht anwesenden Mitglieder im Nachhinein befragt. Einige, nicht alle. Das sei „willkürlich“ und rechtlich nicht korrekt, so Köppen. Für Patienten, die sich an Forschungen beteiligen, könne das schwerwiegende Folgen haben. Denn einige Haftpflichtversicherungen machen ihre Leistungspflicht von positiven Voten der Ethikkommission abhängig. Wenn diese rechtlich nicht wasserdicht sind, könnten die Versicherungen Zahlungen verweigern.

Inhaltlich aber geht die Kritik des BFP, einem Zusammenschluss von Selbsthilfegruppen und Patientenverbänden, an den Ethikkommissionen weiter: Das Forum kritisiert vor allem, medizinische Forschung finde unter Ausschluss der Öffenlichkeit statt und die Wissenschaftler kontrollierten sich weitgehend selbst. „Das Ganze ist eine Alibiveranstaltung, mit der die betroffenen Patienten getäuscht werden“, sagt Johannes Spatz, Sprecher der AG Ethik des Forums.

Das BFP fordert deshalb, den Anteil der Patientenvertreter in den Ethikkommissionen auf mindestens ein Drittel der Mitglieder zu erhöhen. Die Kommissionen müssten zudem dort angesiedelt sein, so Spatz, wo nicht geforscht wird: etwa bei der Wissenschaftsverwaltung. Und sie sollten dem Parlament problemorientierte Jahresberichte vorlegen, die damit auch für die Öffentlichkeit zugänglich sind.

Diese grundsätzlichen Probleme sieht man in der Charité nicht. Charité-Sprecherin Kerstin Ullrich räumt aber ein, dass in der Ethikkommission in Einzelfällen nachträglich einzelne Abstimmungsvoten eingeholt wurden. „Das passiert ganz pragmatisch und vielleicht nicht ganz satzungsgemäß“, so Ullrich. Anders aber sei die Arbeitsbelastung der Kommission nicht zu bewerkstelligen. Durch eine Satzungsneuformulierung soll dieses Problem nun gelöst werden. Der Entwurf liegt dem Fakultätsrat vor. Zu weiteren Vorwürfen wollte sich Ullrich nicht äußern.

Auch im Hause von Wissenschaftssenator Thomas Flierl (PDS), der die Fachaufsicht über die Unikliniken hat, gibt man sich zugeknöpft. Zunächst gehöre eine solche Kritik in die Zuständigkeit der Charité, so Flierls Sprecher Torsten Wöhlert zur taz.