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Archiv-Artikel

Volkswagen macht seine eigene Hartz-Reform

Der Wolfsburger Konzern steuert gerüchtehalber auf eine Krise zu – um die Beschäftigten zum Verzicht zu bewegen

HANNOVER taz ■ Zu einem ungünstigeren Zeitpunkt hätten die schlechten Nachrichten für Volkswagen-Chef Bernd Pischetsrieder kaum kommen können. Drei Scheichs aus dem Nahen Osten – ein Vizekronprinz aus Abu Dhabi und zwei Minister aus den Vereinigten Arabischen Emiraten – besuchten gestern den VW-Chef in seiner Wolfsburger Konzernzentrale. Er wollte ihnen die Beteiligung an Europas größtem Autobauer schmackhaft machen. Da machten ihm Berichte über eine bevorstehende Gewinnwarnung bei VW einen Strich durch die Rechnung.

Die Spekulationen über eine Krise bei VW und die bislang weder bestätigten noch dementierten Berichte über eine Gewinnwarnung gehen auf VW-Personalvorstand Peter Hartz und den Chef des Betriebsrates, Klaus Volkert, zurück. Sie hatten die Wolfsburger Beschäftigten in der vergangenen Woche auf einer Betriebsversammlung in die Werksferien verabschiedet – mit ziemlich trüben Reden.

So konstatierte Volkert zum Beispiel: Zu Jahresbeginn habe er noch große Hoffnungen auf eine Verbesserung von Marktentwicklung und Absatz gehabt. Nun müsse er aber feststellen, dass das Wachstum ausgeblieben sei. Es zeichne sich „eine Veränderung der Marktverhältnisse ab, die weit über eine Konjunkturschwankung hinausreicht“. Ohne eine wesentliche Verbesserung der wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen würden die Kunden ihre Zurückhaltung nicht aufgeben.

Zur pessimistischen Diagnose des VW-Betriebsratsvorsitzenden passten die Zahlen über die Pkw-Neuzulassungen, die das Kraftfahrtbundesamt kurz darauf veröffentlichte. Demnach wurden in Deutschland allen Aufschwungshoffnungen zum Trotz von Januar bis Juni 1,3 Prozent weniger Neuwagen zugelassen als im ersten Halbjahr 2003. Der VW-Konzern schnitt mit einem Minus von 1,1 Prozent sogar etwas besser als der Durchschnitt ab, dank des neuen Golfmodells konnte die Hauptmarke Volkswagen die Stückzahl fast behaupten. Allein: Das Unternehmen hatte sich vom neuen Parademodell kräftige Absatzzuwächse erhofft. Die Kaufzurückhaltung, mit der die Deutschen auf den von Gerhard Schröder verordneten Sozialabbau reagieren, machen der einstigen Lieblingsindustrie des Auto-Kanzlers arg zu schaffen.

Tatsächlich geht es bei Volkswagen noch nicht um eine Krise, nicht um rote Zahlen. Es geht darum, ob das Unternehmen das der Börse für 2004 versprochene operative Ergebnis von plus 2,5 Milliarden Euro erreicht – und sich damit auf seinem Heimatmarkt gegenüber dem Vorjahr nicht verschlechtert.

Die pessimistische Rede, die Personalchef Peter Hartz den Wolfsburger VW-Beschäftigten mit auf den Weg in die Werksferien gab, sollte auf Abstriche am VW-Haustarifvertrag einstimmen. Auch den will der Personalchef einer gründlichen Hartz-Reform unterziehen. Die erhoffte Belebung der Automobilkonjunktur habe sich nicht erfüllt. Hartz: Wenn kein ausreichendes Wachstum auf den Märkten mehr zu erzielen sei, müsse man in der „Personal- und Tarifpolitik Antworten finden“.

Die Botschaft ist deutlich: Die VW-Beschäftigten sollen zum Verzicht bewegt werden – wollen sie ihren Arbeitsplatz nicht verlieren. Und wollen sie nicht in die Arbeitslosigkeit entlassen werden, die seit der Hartz-Reform für die gesamte Republik schließlich keineswegs angenehmer geworden ist. Für die „nachhaltige Sicherung der Arbeitsplätze“ brauche Volkswagen „intelligente Lösungen, die die Personalkosten mittel- und langfristig um 30 Prozent senken. Er wolle „Alternativen zur Standort-Verlagerung“, versicherte der Personalchef – und verlangte dafür eine neue Tarifstrategie.

JÜRGEN VOGES